«Wer ein Problem anschaut, akzeptiert es leichter»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 2. September 2021

(Symbolbild: iStock)

Wenn das Schicksal zuschlägt und einen aus der Bahn wirft, hilft Resilienz. Wie wir diese Fähigkeit entwickeln, sagt die psychologische Beraterin Doris Soder.

Frau Soder, verfügen alle Menschen über Resilienz?
Ja, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Diese eignen wir uns im Laufe des Lebens an. Wer in ein fürsorgliches, unterstützendes Umfeld hineingeboren wird, hat gute Voraussetzungen, resilienter zu werden.

Ist Resilienz auch lernbar?
Es ist vielmehr ein Erfahren, dass man schwierige Situationen meistern kann. Je mehr schwierige Situationen wir überstehen, desto stärker wird sie.

Wie überstehen wir eine Trennung oder den Tod eines geliebten Menschen?
Erleidet man einen Schicksalsschlag, ist es hilfreich, sich zu fragen, was man empfindet, und zu versuchen, die Situation als solche zu akzeptieren. Danach lohnen sich Fragen wie: Was tut mir gut? Was stärkt mich? Dadurch lenkt man den Blick auf die eigenen Fähigkeiten. Hilfreich ist: Aufschreiben, was einem durch den Kopf geht. Oder Sport treiben, um sich wieder zu spüren. Oder in die Natur gehen. Wenn man sich wieder an kleinen Dingen erfreuen kann, ist ein grosser Schritt in Richtung Normalität geleistet. Man muss sich dazu aber Zeit lassen.

Doris Soder ist psychoonkologische Beraterin in der Klinik Schützen Rheinfelden AG.

Wie verkraften Menschen eine erschütternde Diagnose wie etwa Krebs?
Es gibt Menschen, die den Kopf einziehen und sozusagen den Berg hochrennen, getrieben vom Gedanken: «Wenn ich nicht mehr kämpfe, dann sterbe ich.» Eine kämpferische Grundhaltung kann hilfreich sein, verhindert manchmal aber auch, die schwierige neue Lage zu akzeptieren. Ein anderes Extrembeispiel ist die Haltung: «Es hat alles keinen Wert mehr!» Eine Krebsdiagnose stellt eine Zäsur dar. Vieles ist danach nicht mehr machbar. Hier hilft es, zu erkennen, was noch möglich ist. Wo spüre ich mich? Zudem setzt die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit ein. Auch hier steht das Annehmen der misslichen Situation im Vordergrund. Ich rate dazu, nicht sogleich auf den Mount Everest zu rasen, sondern sich den Berg vorher anzusehen, die Rastplätze zu erkunden. Wer ein Problem anschaut, akzeptiert es leichter.

Wie reagiert das Umfeld auf eine schwierige Diagnose?
Angehörige versuchen oft, Betroffene zu schonen und die eigene Angst nicht zu zeigen. Sinnvoller wäre es, mutig mit dem erkrankten Menschen auch über die eigenen Gefühle zu sprechen. Grösstmögliche Offenheit hilft, dass beide wissen, woran sie sind. Das gibt Sicherheit. Denn über Resilienz verfügen alle, auch das Umfeld.

Wann soll sich jemand Hilfe suchen?
Wenn das Gefühl vorherrscht, es gehe in keine Richtung weiter. Es kann helfen, in einer Therapie mit einer neutralen Person zu sprechen, die man nicht schonen muss. Resilienz ist letztlich der Motor, der uns befähigt, Perspektiven zu finden und weiterzuleben.

 

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