Von Danica Gröhlich, 30. Juni 2021
Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen bis hin zu Schwindel und Herzrasen: Die Symptome einer Histamin-Intoleranz sind vielfältig.
Eine Gemüse-Pizza reich belegt mit Tomaten, Auberginen und Spinat. Passend dazu ein Glas Rotwein. Doch für einige Menschen könnte der laue Sommerabend abrupt enden – mit Bauchweh und Durchfall auf der Toilette. Denn sie leiden, meist ohne es zu wissen, an einer Histamin-Intoleranz. Wie Betroffene die verkannte Unverträglichkeit in den Griff bekommen, erklärt Nadia Ramseier, Ernährungsberaterin und Expertin bei der Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz.
Frau Ramseier, wieso haben viele Betroffene meist einen ärztlichen Marathon hinter sich, bis die Histamin-Unverträglichkeit entdeckt wird?
Die Diagnose einer Histamin-Intoleranz muss mittels Ausschlussverfahren gestellt werden – und das kann dauern. Denn bis heute gibt es keine Tests, mit welchen wir diese diagnostizieren können. Als Erstes müssen deshalb Nahrungsmittelallergien sowie Reaktionen auf Laktose in Milchprodukten, Gluten aus Getreide oder auf den Fruchtzucker Fruktose sowie weitere Magen-Darm-Erkrankungen ausgeschlossen werden. Dazu kommt, dass Betroffene häufig vielfältige und unspezifische Symptome zeigen, was die Diagnosestellung erschwert. Wir gehen davon aus, dass in der Schweiz rund ein Prozent der Bevölkerung von einer Histamin- Intoleranz betroffen ist.
Wie kann die Diagnose trotzdem gestellt werden?
Bereits das Führen eines Ernährungs- und Symptom-Tagebuches kann erste wichtige Hinweise liefern. Besteht der Verdacht einer Histamin-Intoleranz weiterhin, wird unter Begleitung einer spezialisierten Ernährungsberatung versuchsweise eine histaminarme Ernährung durchgeführt. Dies für vier bis sechs Wochen. Wenn sich die Symptome in dieser Zeit verbessern, erhärtet sich der Verdacht.
Was ist Histamin genau und wo kommt es vor?
Histamin ist ein Botenstoff, der natürlicherweise in unserem Körper vorkommt. Er gehört zur Gruppe der sogenannten biogenen Amine. Diese biologisch aktiven Substanzen nehmen wichtige Funktionen im Körper wahr. Sie dienen etwa als Botenstoffe bei einer allergischen Reaktion, regulieren den Blutdruck oder haben einen Einfluss auf die Magen-Darmbewegungen. Neben dem Histamin, das unser Körper selbst herstellt, enthalten viele Lebens mittel natürlicherweise Histamin.
(Welche Nahrungsmittel viel Histamin enthalten, sehen Sie in der Info-Box.)
Wenn Histamin ein natürlicher Stoff ist, weshalb kommt es dennoch zu einer Unverträglichkeit?
Die Ursache einer Histamin-Intoleranz ist bis heute nicht genau geklärt. Es wird vermutet, dass die Histamin-Intoleranz durch ein Missverhältnis zwischen dem Angebot an Histamin und der eingeschränkten Aktivität der Histamin-abbauenden Enzyme entsteht. Ist dies der Fall, kann das Histamin, das wir über die Nahrung zu uns nehmen, im Dünndarm nicht genügend abgebaut werden. Es kommt zu einem Histamin-Anstieg im Blut.
Was ist der Unterschied zu einer Allergie?
Bei der Histamin-Intoleranz ist das Verdauungssystem beteiligt, weshalb wir von einer Intoleranz sprechen. Bei einer Allergie hingegen ist das Immunsystem beteiligt. Dieses löst eine Überreaktion aus auf eigentlich harmlose Stoffe wie Nahrungsmittel oder Stoffe aus der Umgebung wie etwa Pollen. Dabei werden Antikörper produziert. Bei einem erneuten Kontakt lösen die Antikörper eine Ausschüttung von Botenstoffen aus und es kommt zu Allergie-Symptomen.
Bei welchen Beschwerden sollte ich an eine Histamin-Intoleranz denken?
Bei der Histamin-Intoleranz sind eben unterschiedliche und ganz unspezifische Symptome möglich. Häufig treten diese vorwiegend während und nach dem Essen auf. Typisch sind etwa plötzliche Hautrötungen, auch Flush-Symptomatik genannt, Juckreiz und Rötungen am Körper. Zudem Verdauungsbeschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Bauchschmerzen. Auch ein Blutdruckabfall, Schwindel oder Herzrasen können vorkommen sowie Kopfschmerzen, Migräne, rote Augen und geschwollene Lippen.
Dann kommen nur bestimmte Lebensmittel als Übeltäter infrage?
Als Hauptauslöser für Beschwerden wird tatsächlich eine hohe Aufnahme von Histamin über die Ernährung vermutet. Histamin kommt sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln in unterschiedlich hohen Konzentrationen vor. Reifungs- und Gärungsprozesse beeinflussen den Histamin-Gehalt. Das heisst: Je frischer das Nahrungsmittel oder das Gericht, desto besser wird es im Allgemeinen vertragen. Aber auch Stress könnte eine Rolle spielen und wahrscheinlich zu einer vermehrten Histamin-Ausschüttung führen.
Darf jemand mit einer Histamin- Intoleranz nie mehr Tomaten und gereiften Parmesan essen?
Intoleranzen können sich im Laufe des Lebens verändern. In den meisten Fällen müssen histaminreiche Nahrungsmittel reduziert werden, um Beschwerden zu vermeiden. Hat sich der Verdacht einer Histamin- Intoleranz durch Weglassen histaminhaltiger Lebensmittel erhärtet, wird die individuelle Verträglichkeit ermittelt. Die Zufuhr histaminhaltiger Nahrungsmittel wird dabei schrittweise erhöht. Das geschieht am besten in einer spezialisierten Ernährungsberatung. Eine strikt histaminarme Ernährung ist nicht nötig, respektive birgt sogar die Gefahr einer Mangelernährung. Bei Bedarf kann unterstützend kurz vor der Mahlzeit das Enzym Diaminoxidase eingenommen werden. Zudem kann auch der Einsatz von sogenannten Antihistaminika sinnvoll sein. Dies muss jedoch mit der behandelnden Ärztin, dem behandelnden Arzt besprochen werden. Wenn schliesslich die individuelle Grenze bekannt ist, wie viel Histamin toleriert wird, kann man die Mahlzeiten so zusammenstellen, dass man den Sommerabend geniessen kann.
Vorsicht bei diesen Lebensmitteln:
Zu den histaminreichen Gemüsesorten zählen Tomaten, Auberginen und Spinat. Ebenso kann die beliebte Avocado Probleme bereiten. Andere Gemüse- und Früchtesorten hingegen – frisch, unverarbeitet oder tiefgekühlt – enthalten nur geringe Mengen Histamin. Generell führen stark verarbeitete und haltbar gemachte Nahrungsmittel wie Sauerkraut oder Wurstwaren, etwa Cervelat, Salami oder Bündnerfleisch, vermehrt zu Beschwerden. So sind auch Hart-, Weich- und Schmelzkäse- Sorten mit zunehmendem Reifegrad histaminreich. Andere Milchprodukte wie Frischk se, zum Beispiel Hüttenkäse, Quark sowie Milch und Rahm werden besser vertragen. Auch alkoholische Getränke wie Wein oder vergorene Fruchtsäfte können zu Symptomen führen. Mitentscheidend ist auch immer die individuelle Toleranzgrenze und die konsumierte Menge.
Weitere Informationen erhalten Sie bei aha! Allergiezentrum Schweiz: www.aha.ch