«Kortison ist Fluch und Segen»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 18. März 2021

(Symbolbild: iStock)

Viele Menschen lehnen eine Behandlung mit Kortison ab. Der Facharzt Jonas Rutishauser sagt, weshalb wir das Steroidhormon nicht verteufeln sollten.

Herr Rutishauser, warum hat Kortison einen so schlechten Ruf?
Im gesunden Körper ist das Stresshormon Cortisol lebensnotwendig. Die körpereigene Produktion ist aber an den Bedarf angepasst und viel geringer als therapeutische Dosierungen mit synthetischen Präparaten. Diese wirken länger und stärker und haben deshalb mehr Nebenwirkungen. Der schlechte Ruf stammt wohl daher.

Befürchten die Patienten eine Gewichtszunahme?
Ja, denn die Kortison-Einnahme bewirkt eine ungute Fettverteilung – mit einem dicken Bauch und dünnen Beinen –, weil die Muskeln abgebaut werden. Neben Heisshungerattacken ist zum Beispiel auch ein Vollmondgesicht typisch. Das beeinträchtigt das Wohlbefinden. Diabetes ist eine weitere mögliche Folge. Zudem wird die Person anfälliger für schwere Infekte.

Zeitigt Kortison Langzeitfolgen?
Ja. Zu diesen zählt die Knochenschwächung, die mit der Gesamtdosis des aufgenommenen Kortisons zusammenhängt. Wie bei einem Bankkonto, auf das man stetig einzahlt. Kortison kann zudem aufputschen. Deshalb sollte man es nicht abends einnehmen. Betroffene können aber auch psychisch instabil, depressiv oder gar wahnhaft werden.

Jonas Rutishauser ist Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie im Medcenter Volta in Basel.

Wie hilft Kortison?
Kortison wirkt in erster Linie gegen Entzündungen. Es wird etwa bei Rheuma, chronischen Darmerkrankungen, bei gewissen Lungenentzündungen oder zum Teil auch bei Metastasen eingesetzt. Damit der Körper das fremde Gewebe nicht abstösst, kann Kortison nach einer Organtransplantation das Immunsystem blockieren.

Wirkt Kortison auch bei einer Covid-Erkrankung?
Kortison hilft, den Entzündungssturm abzuschwächen, ein Organversagen zu verhindern und die Sterblichkeit zu senken.

Wie lange soll man Kortison einnehmen?
Das ist von der Krankheit abhängig. Bei einem Gichtanfall am Fuss reichen ein paar Tage. Menschen mit Weichteilrheumatismus oder nach einer Organtransplantation müssen das Hormon über Monate oder gar Jahre einnehmen. Die körpereigene Cortisol-Produktion wird dabei abgeschwächt, was nach dem Absetzen zu Problemen führen kann. Kortison sollte deshalb nicht länger als nötig eingenommen werden.

Ist langsames Absetzen also besser?
Je nach Krankheit empfiehlt es sich, das Kortison langsam zu reduzieren. In einer aktuellen Studie erforschen wir, ob man die Einnahme sofort stoppen oder die Dosis weiter senken soll, wenn die Entzündung kaum noch nachweisbar ist. Kortison ist aufgrund seiner Eigenschaften Fluch und Segen zugleich.

 

Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: