Von Christian Franzoso, 10. März 2021
Mehrmals hätte Heidi Mani sterben können. Aber die Krebspatientin überlebte jedes Mal und verlor nie ihren Lebensmut. Auch nicht, als ihr Sohn überfahren wurde.
«Es ist schon so lange her, dass ich ein Rössli angefasst habe», sagt Heidi Mani mit erregter Stimme, während sie Dakota, ein hellgraues Pony mit schwarzen Flecken, streichelt und umarmt. Die Augen der 75-Jährigen leuchten, sie strahlt über das ganze Gesicht. Der Schlauch, der den Sauerstofftank in ihrem Rucksack mit ihrer Nase verbindet, kann die Freude der ehemaligen lizenzierten Springreiterin nicht trüben.
«Es gibt immer wieder eine Tür, die überraschend aufgehen kann.»
Die Ärzte gaben ihr drei Monate
Heidi Mani ist zurück auf dem Stockengut in Kilchberg bei Zürich, wo sie seit sie sieben Jahre alt gewesen war, mit ihrer Familie lebte, bis sie 1967 als Au-pair nach New York ging und beschloss, für immer in den USA zu bleiben. Nachdem bei ihr unheilbarer Lungenkrebs mit Ablegern im Gehirn diagnostiziert worden war, kehrte die ehemalige Hostess 2018 in die Heimat zurück. Die amerikanischen Ärzte gaben ihr noch drei Monate. «Ich wollte nicht ersticken. Deshalb entschied ich mich, mit Exit in der Schweiz zu sterben», sagt sie.
«Du bist so eine Schöne», flüstert sie Dakota ins Ohr. Es ist ein prächtiger Wintertag. In der Nacht zuvor verwandelten heftige Schneefälle die Umgebung in eine weisse Märchenlandschaft. Es ist bitterkalt. Die 1.50 Meter grosse und 47 Kilogramm schwere Frau zittert am ganzen Körper und muss das Interview unterbrechen. Sie hält sich am Arm des Journalisten fest, um vorsichtig und in kleinen Schritten auf dem vereisten Boden zu seinem Auto zu gehen und sich darin aufzuwärmen.
«Mein Herz ist zweigeteilt»
Die zweifache Mutter liess in New Jersey ihren Sohn Marco (42), seine Frau Katrina (48) und die Enkel Thomas (14) und Alexis (10) zurück. «Mein Herz ist zweigeteilt. Eine Hälfte ist in Amerika, die andere hier.» Heidi Mani hatte noch einen zweiten Sohn, Thomas. Er wurde von einem Betrunkenen überfahren, als er 19 Jahre alt war. «Wenn ich sterbe, werde ich die Seite wechseln und zu Thomas gehen.» So habe sie das auch ihren Enkeln erklärt. «Ich habe für Thomas und vor allem für Marco weitergelebt », fährt sie fort. Nach dem Tod ihres Sohns wird Heidi Mani in New Jersey Sprecherin von «Mothers Against Drunk Driving», eine Elternorganisation, die sich gegen das Autofahren im alkoholisierten Zustand richtet.
Später ist die zierliche Frau wieder aufgewärmt und erzählt ihre Geschichte weiter. In den USA wurde das metastasierende Bronchialkarzinom mit Chemotherapie und Bestrahlung behandelt, was sie jedoch nicht gut verträgt. «Im Gegenteil, der Lungentumor wuchs sogar weiter, und ich fühlte mich sehr krank», erinnert sich Heidi Mani. Nach dem Versagen der Chemotherapie unterziehen sie die Ärzte einer neuen Immuntherapie, die zu wirken scheint. Diese Therapien zielen mit verschiedenen Methoden darauf ab, die Verteidigungsstrategien von Krebszellen mit sogenannten T-Zellen zu durchbrechen. Durch die Behandlung erhält Heidi Mani unverhofft eine neue Perspektive, doch ihre Lebensprognose beträgt immer noch nur wenige Monate. Die Wahlamerikanerin siedelt deshalb mit nur zwei Koffern in einer Nacht- und Nebelaktion nach Zürich um. Sie will mit Exit gehen können, falls sich ihr Zustand wieder verschlechtern sollte.
«Man muss auch loslassen können, wenn es nicht mehr weiter geht.»
Versprechen an die Enkel
Das Onkozentrum Zürich führt die Immuntherapie erfolgreich weiter. «Wir konnten den Tumor fast vollständig auflösen», sagt der behandelnde Onkologe Dr. Ulf Petrausch. Immuntherapien sind bei etwa 20 Prozent der Krebspatienten erfolgreich, aber die Nebenwirkungen können heftig sein. Heidi Mani bleibt zwar davon verschont, doch dort, wo sich der Tumor in der Lunge befand, entsteht nach der Therapie eine infektiöse Höhle. Die Folgen sind lebensbedrohlich wie bei einer schweren Lungenentzündung – Heidi Manis Genesung scheint nun erst recht sehr unwahrscheinlich. Sohn Marco fliegt aus den USA ein, um sich von seiner todkranken Mutter zu verabschieden. Allerdings besteht ein letzter Funken Hoffnung in einer drastischen Lösung: «Wir mussten den ganzen rechten Lungenflügel herausoperieren. So konnten wir Heidi Mani vor dem Tod retten», erzählt Ulf Petrausch. Seither braucht sie aber einen Sauerstofftank.
«Das habe ich meinen Enkeln versprochen. Und das schaffe ich auch!»
Inzwischen wurde die Immuntherapie vor über einem Jahr gestoppt, da der Krebs derzeitig ruhig ist. Die nächste Kontrolle wird zeigen, ob Heidi Mani wieder damit beginnen muss. Indes hat sie nur ein Ziel: in den USA ihre Familie besuchen. «Das habe ich meinen Enkeln versprochen. Und das schaffe ich auch!», zeigt sich «Grandma Heidi» überzeugt. Mittlerweile hat die Hochrisikopatientin beide Corona-Impfungen erhalten und plant, diesen Sommer nach New Jersey zu fliegen. Seit dem Ausbruch des Virus liess sie sich von niemanden umarmen – aus Angst, sich damit anzustecken. «Also umarme ich mich selber», sagt die lebensfrohe Frau und macht es auch gleich vor. «Ich kann es jedoch kaum erwarten, meine Familie wieder in die Arme zu schliessen.»
«Ich kann es kaum erwarten, meine Familie wieder in die Arme zu schliessen.»
So macht sie Mut
Heidi Mani schlitterte mehrmals knapp am Tod vorbei und sie verlor einen Sohn. Mit ihrer Geschichte möchte sie anderen Menschen Mut machen und sie motivieren, positiv zu bleiben, auch wenn ihr bewusst ist, dass jeder Fall anders gelagert ist. Es sei wichtig, dass sich Schwerkranke auf neue Therapieformen einlassen. «Denn es gibt immer wieder eine Tür, die überraschend aufgehen kann. Man muss aber auch loslassen können, wenn es nicht mehr weiter geht.» Dann verabschiedet sich Heidi Mani von Dakota und umarmt sie ein letztes Mal.
Heidi Mani ist auch in «GESUNDHEITHEUTE » am 20. März um 18.10 Uhr auf SRF 1 zu sehen.