«Einige träumen während der Narkose»

Von Danica Gröhlich 24. Februar 2021

Gut überwacht: Eine Vollnarkose ist heutzutage sehr sicher. (iStock)

Sie fühlen sich ausgeliefert oder haben Angst, nicht mehr aufzuwachen: Viele Menschen fürchten sich bei einer Operation vor der Narkose. Was im medizinischen Tiefschlaf genau passiert.

Herr Dr. Meierhans, warum dürfen Patientinnen und Patienten vor einer Narkose nichts mehr essen und trinken?
Während einer Vollnarkose werden die Schutzreflexe ausser Gefecht gesetzt, die uns vor einer Aspiration schützen. Bei vollem Magen besteht die Gefahr, dass Mageninhalt in die Lunge gelangt. Dies kann lebensgefährlich sein. Durch die Nüchternheit verringert sich diese Gefahr deutlich.

Legen Sie Frühgeborene und Hochbetagte in eine andere Narkose?
Jede Narkose wird auf die jeweilige Operation und individuell abgestimmt. Kleine Kinder haben einen anderen Stoffwechsel als ältere Menschen. Dadurch wirkt ein spezifisches Mittel je nach Alter unterschiedlich lange und unterschiedlich stark. Zudem haben der Gesundheitszustand und die Vorerkrankungen einen Einfluss auf die Wirkung und die Verträglichkeit des Narkosemittels. Daher ist eine vorgängige Narkose-Sprechstunde wichtig.

Sollte jemand keine Narkose bekommen?
Nur selten kann jemand aufgrund des zu grossen Risikos bei schwersten Vorerkrankungen nicht narkotisiert werden. Der Nutzen einer Operation muss gegenüber dem Risiko einer Narkose abgewogen werden.

Wann tritt die Narkose ein und wie lange hält sie?
Nach der Verabreichung des Narkosemittels tritt die Bewusstlosigkeit innert Sekunden ein. Für eine Operation werden meist kurzwirksame Medikamente verwendet. Diese werden fortlaufend verabreicht, damit die Patientin oder der Patient «in Narkose» verbleibt. Sobald die Verabreichung unterbrochen wird, beginnt die Aufwachphase und die Person wird nach wenigen Minuten wach oder weckbar. Dieselben oder ähnliche Substanzen werden auch für das künstliche Koma auf der Intensivstation verwendet. Für Narkosemittel gibt es praktisch keine zeitliche Einschränkung, sodass das künstliche Koma über Wochen und Monate aufrechterhalten werden kann.

Dr. med. Roman Meierhans, Leitender Arzt, Institut für Anästhesiologie,Kantonsspital Winterthur (zVg.)

Träumen wir unter Narkose?
Dies ist sehr unterschiedlich. Dem gebräuchlichsten Narkosemittel, Propofol, wird aber die Eigenschaft nachgesagt, für angenehme Träume zu sorgen. Wir Anästhesisten empfehlen unseren Patientinnen und Patienten, während der Narkoseeinleitung einen schönen Gedanken an eine angenehme Situation mitzunehmen. Tatsächlich berichten uns einige im Anschluss, dass sie geträumt hätten.

Wie gefährlich ist eine Narkose?
Heutzutage sind Narkosen sehr sicher. Bei Vollnarkosen kommt es extrem selten zu nicht vorhersehbaren Zwischenfällen. Selbstredend haben Kranke bereits im normalen Leben ein erhöhtes Risiko beispielsweise für Herz- oder Hirninfarkte. Dies ändert sich auch bei der Narkose nicht. Mit dem medizinischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte sind die häufigsten Nebenwirkungen stark zurückgegangen. Übelkeit und Erbrechen treten deutlich seltener auf und können viel effektiver behandelt werden. Dennoch sind einzelne Patientinnen und Patienten aufgrund einer Veranlagung wiederholt davon betroffen. Nebst der Wirkung auf die Atmung haben die meisten Substanzen auch eine hemmende Wirkung auf die Herz- und Kreislauffunktion mit zum Beispiel übermässiger Senkung des Blutdruckes. Fast alle Narkosemittel hemmen den Atemantrieb und lassen die oberen Atemwege kollabieren. Deshalb überwachen wir die Narkose engmaschig und beatmen bei Bedarf.

Dann beatmen Sie nicht immer?
Nicht bei jeder Art einer Vollnarkose ist eine Unterstützung der Atmung nötig. Bei oberflächlichen Narkosen, wie bei einer Darmspiegelung, döst die Person und atmet selbständig. Bei tieferen Narkosen gibt es verschiedene Stufen der Atmungsunterstützung. Zum Offenhalten des Atemweges werden verschiedene Hilfsmittel verwendet, bis hin zur Einlage eines Beatmungsschlauches in die Luftröhre, der die gesamte Beatmung übernimmt.

Ist ein Aufwachen während der Narkose möglich?
Bei seriöser Durchführung einer Narkose und Überwachung mittels Monitoring ist eine zu oberflächliche Narkose praktisch ausgeschlossen.

Besonders nach Vollnarkosen fürchten viele eine Verschlechterung der Gehirnfunktionen oder gar eine Demenz.
Es gibt keine nachhaltigen Hinweise, dass Narkosemittel tatsächlich eine Demenz verursachen. Die durchaus beschriebenen kognitiven Defizite nach einer Operation gehen sehr wahrscheinlich auf eine Kombination aus Trauma durch die Operation, Narkose, Spitalaufenthalt und Veränderung der gewohnten Umgebung zurück.

Hat sich Ihre Arbeit seit der Corona-Pandemie verändert?
Momentan müssen sich alle Patientinnen und Patienten, die für eine Narkose vorgesehen sind, einem Covid-Schnelltest unterziehen. Eingriffe bei Covid-positiven Personen werden nur in Notfallsituationen durchgeführt. Hierfür müssen sich alle beteiligten Personen –Anästhesisten, Operateure, technische Operationsassistenten etc. – mit der notwendigen Schutzausrüstung einkleiden. Es wurden zudem aufwändige Anpassungen in der Durchführung einer Narkose, speziell im Atemwegsmanagement, zum Schutz der Mitarbeitenden vorgenommen.


So funktioniert eine Narkosee

Bei Vollnarkosen wird der Mensch durch Medikamente in einen künstlichen Schlaf versetzt. Zusätzlich werden starke Schmerzmedikamente verabreicht. Eine engmaschige Überwachung der Körperfunktionen und eine Unterstützung oder sogar Übernahme der Atmung ist zwingend.

Bei Teilnarkosen wird das Bewusstsein nicht ausgeschaltet, sondern lediglich die Nervenübertragung zum Gehirn durch den Einsatz von lokalen Betäubungsmitteln vorübergehend unterbrochen. Es kann nicht bei allen Patientinnen und Patienten eine Teilnarkose durchgeführt werden, etwa weil schon Nerven vorgeschädigt sind oder die Blutgerinnung des Patienten beeinflusst ist. Voll- und Teilnarkosen können auch kombiniert werden, um die jeweiligen Nebenwirkungen zu reduzieren.

Eine Vollnarkose besteht in den meisten Fällen aus drei Komponenten: Der Bewusstlosigkeit, der Schmerzfreiheit und der Muskelerschlaffung. Für jede dieser drei Komponenten wird ein separates Medikament verabreicht. Die Bewusstlosigkeit kann durch ein Narkosegas über die Lunge (via Beatmungsschlauch) oder durch ein Medikament über die Venen (Infusion) verabreicht werden. Beide Formen gelangen via Blutbahn ins Gehirn, wo sie das Bewusstsein ausschalten. Für die Schmerzfreiheit werden meist sehr starke Opioide (Morphin-ähnliche Medikamente) über die Venen gespritzt. Die dritte Komponente, die Muskelerschlaffung, wird für optimalere Operationsbedingungen oder für die Einführung des Beatmungsschlauches in die Luftröhre benötigt.


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «GESUNDHEITHEUTE», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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