«Wichtig ist es, sich auf das Jetzt zu konzentrieren»

 Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 28. Januar 2021

(Symbolbild: Pixabay)

Bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) geht die Steuerung der Muskeln verloren. Die Pflegefachfrau Bea Goldman sagt, wie sie Menschen mit unheilbaren Krankheiten unterstützt.

Frau Goldman, welchen Stellenwert hat die Pflege für unheilbar Kranke?
Sie ist sehr wichtig. Gleichzeitig brauchen Betroffene Selbstmitgefühl, das heisst einen fürsorglichen Umgang mit sich und seinen Ressourcen.

Was benötigen Personen mit der unheilbaren Nervenkrankheit ALS besonders?
Sie brauchen Fachpersonen, die Erfahrung aufweisen mit der nervlich bedingten Muskelschwäche. Am besten sind sie eingebunden in ein Muskelzentrum oder sind in Behandlung bei spezialisierten Neurologen. Zentral für Betroffene und ihre Familien sind: eine gute Symptomkontrolle, Wissensvermittlung und praktische Unterstützung, etwa bei der Wahl und Handhabung von Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl, Pflegebett oder bei finanziellen Fragen. Was die Familien angeht, ist eine Bereitschaft zur Anpassung und zum Dazulernen unterstützend.

Sind Sie als ALS-Pflegeexpertin auch mental eine Stütze?
Ja, wenn die Betroffenen und Angehörigen das zulassen. Betroffene finden oft erstaunlich schnell ihre Strategie, wie sie mit der Situation umgehen. Das Leiden der Angehörigen allerdings ist oft grösser und wird häufig unterdrückt. Geht es den Angehörigen schlecht, so hat das automatisch einen negativen Einfluss auf die Betroffenen, was wiederum die Angehörigen belastet – ein gefährlicher Teufelskreis. Darum hat die Begleitung des Umfelds einen hohen Stellenwert. Gespräche über Leiden, Hoffnung und Selbstwirksamkeit können hilfreich sein.

Bea Goldman arbeitet als selbständige ALS-Pflegeexpertin in St. Gallen.

Können unheilbar Kranke ihrem Leben noch einen Sinn geben?
Einen Sinn zu haben, ist ein wichtiger Faktor für Hoffnung und Lebensqualität. Etwa eine Aufgabe, die man noch erledigen will, oder die Hinwendung zur Natur und zu Schönem wie Musik. Auch das tapfere Durchstehen als eine Art Leistung kann ein Ziel sein. Wichtig dabei ist, sich auf das Jetzt zu fokussieren und dass sie wieder lernen können, Glück zu empfinden, etwa durch Achtsamkeitspraxis oder das Führen eines Dankbarkeits- und Glückstagebuchs.

Wie gehen Sie mit Sterben und Tod um?
Für mich gehört der Tod genauso zum Leben wie eine Geburt. Wir Pflegenden sehen viel Leid und fühlen mit. Für mich sind Familie und Freunde wichtig, aber auch Hobbys und andere berufliche Aktivitäten. Was mich freut, ist, wenn die Angehörigen im Guten an die Pflege zurückdenken, an ihrer schwierigen Situation gewachsen sind und ihr Leben neu gestalten.

Gibt es auch schöne Momente im Umgang mit den unheilbar Kranken?
Ja. Etwa, wenn Betroffene von ihren Plänen erzählen oder wenn wir gemeinsam über lustige Missgeschicke lachen.

 

 

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