«Gewürze sind die leckerste Medizin der Welt»

Von Danica Gröhlich, 9. Dezember 2020

Geschmackvolle Wirkung: Gewürze fürs Gedächtnis, Gemüt oder geliebt werden. (iStock)

Bereits der Duft und erst recht der Geschmack lösen einiges aus: Die deutsche Molekular- und Evolutionsbiologin Dr. Sabine Paul taucht in die vielfältige Welt der Gewürze ein und erklärt deren Wirkung.

Frau Dr. Paul, welches ist Ihre persönliche Würze des Lebens?
Das wechselt ein wenig nach Anlass und Jahreszeit. Aktuell ist es frischer Rosmarin. Er senkt einerseits die Stresshormone im Körper und macht zugleich einen wachen Kopf. Ausserdem lässt er sich vielfältig einsetzen – in herzhaften Gerichten, aber auch in Kuchen und Keksen mit Schokolade. Ein Rosmarintee ist ein tolles Getränk am Nachmittag zur Aktivierung der Gehirnzellen, auch mal als Alternative zu einem Kaffee.

Dr. Sabine Paul, Molekular- und Evolutionsbiologin, IFEG Institut für Evolutionäre Gesundheit, Frankfurt (zVg.)

Von der Molekular- und Evolutionsbiologin zur Gewürz-Expertin: Woher stammt Ihre Faszination?
Gewürze sind wahrscheinlich die am meisten unterschätzten Lebensmittel. Obwohl sie uns Menschen im Laufe der Evolution ständig begleitet haben, sind sie in den offiziellen Ernährungsempfehlungen nicht zu finden. Dabei sind sie nicht nur aromatisch, sondern extrem wirkungsvoll und können von der Steigerung des Wohlbefindens bis zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden. Sie sind sozusagen die «leckerste Medizin der Welt».
Auf die besondere Wirkung der Gewürze stiess ich, als ich für meine Führungskräfte-Seminare auf der Suche nach Blitzhelfern gegen Stress war. Dabei fielen mir die ätherischen Öle auf, die in Minutenschnelle Gehirnzustände verändern können. Sie sind auch Bestandteil der Gewürze. Damit war mein Forschungsinteresse an Gewürzen für eine bessere Gehirnleistung geweckt.

Ist denn gegen alles ein Kraut gewachsen?
Wahrscheinlich ja. Es gibt eine sehr lange Tradition, Kräuter und Gewürze für die Gesundheit einzusetzen. Schon die Pharaonen im alten Ägypten hatten Koriander samen als kostbare Grabbeigabe für ihr Leben im Jenseits dabei. Die ayurvedische Medizin verwendet Gewürze seit mehr als 2000 Jahren für eine Vielzahl von Krankheiten, die Traditionelle Chinesische Medizin ebenfalls. Auch in den europäischen Klostergärten wuchsen viele Gesundheitshelfer. Seit etwa fünfzehn Jahren besinnt sich die Pharmaforschung auf ihre Wurzeln in der pharmazeutischen Biologie und sucht verstärkt in Gewürzen und Kräutern nach Naturstoffen, die zur Behandlung von Krankheiten verwendet werden können.

Was sagt die neuste Forschung zur Wirkung von Gewürzen?
Mehrere Gebiete werden gerade intensiv beforscht. Einmal Substanzen, die gleich gut oder besser als Antidepressiva wirken, mit weniger oder keinen Nebenwirkungen. Stimmungsaufhellende Substanzen wurden zum Beispiel in Safran gefunden – und das in Mengen, wie man sie in traditionelle Gerichte wie Paella und Risotto gibt. In der Alzheimer- Forschung ist Kurkuma gerade von grossem Interesse, da die Gelbwurz nicht nur Entzündungen im Gehirn reduziert, sondern auch neue Nervenzellen im «löchrig gewordenen» Gedächtniszentrum wachsen lassen kann. Die Wirkung von Ingwer bei Migräne ist inzwischen gut belegt. Wenn Sie wacher und konzentrierter bei einer langen Autofahrt bleiben wollen, dann sollten Sie Pfefferminzöl als Raumduft im Auto verwenden. Kinder, die etwa  langsamer beim Lernen sind, werden schneller mit Zimtduft.

«Vanille lässt uns dahinschmelzen, Rosmarin erregt.»

Wie wirken denn Gewürze genau?
Gewürze nehmen wir über die Haut auf, zum Beispiel beim Kochen, wenn wir Kräuter schneiden oder Teig mit Gewürzen kneten. Besonders schnell gelangen Gewürzwirkstoffe ins Gehirn, wenn wir sie einatmen. Auch das passiert schon beim Kochen und dann natürlich beim Essen, vor allem, wenn der Dampf heisser Gerichte oder Getränke aufsteigt. Schliesslich gelangen Gewürzkomponenten mit der verdauten Nahrung über den Darm in die Blutbahn und dann ins Gehirn. Dort docken sie an spezifische Stellen an und entfalten ihre Wirkung. Für die besonderen Effekte der Gewürze genügen schon kleine Mengen. Bildhaft gesprochen sollte man bei Gewürzen nicht die Schöpfkelle, sondern Prisen verwenden – diese dann aber regelmässig. Grosse Mengen können zu Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten führen. Wer sich etwa mit Kurkuma etwas Gutes tun möchte und deshalb einen gehäuften Esslöffel Kurkumapulver pro Tag zu sich nimmt, kann Blutgerinnungsstörungen bekommen.

Welches Gewürz würden Sie für die Corona-Zeit empfehlen?
Kochen und backen Sie möglichst viel selbst sowie frisch und verwenden Sie dabei täglich wechselnde Gewürze. Das wirkt gut gegen Stress und stärkt das Immunsystem. Speziell antivirale Wirkung haben mediterrane Kräuter wie Oregano und Thymian und Wintergewürze wie Gewürznelken. Als Immunstärker hat sich Ingwer bewährt.

Ihr Gewürz-Tipp für die Verdauung von schweren Speisen in dieser Jahreszeit?
Die Klassiker sind Anis, Fenchel und Kümmel. Mein aktueller Favorit ist Kardamom. Es ist der Verdauungshelfer schlechthin in arabischen und asiatischen Ländern. Wir können ihn als Tee oder im Kaffee nach dem Essen geniessen. Einfach eine Kardamomkapsel knacken und in die Kaffeekanne legen, während der Kaffee aufgebrüht wird. Oder aus der Kapsel die Samen entnehmen, fein mörsern und eine Prise davon über einen Espresso geben oder einen Tee mit Kardamompulver aufgiessen. Damit Kardamom wirkt, sollte man immer frische Samen verwenden und kein fertiges Pulver – die Wirkstoffe verflüchtigen sich zu schnell.

Und womit lässt sich das Liebesleben aufpeppen?
Viele berühmte Parfums nutzen die anziehende und entspannende Wirkung der echten Bourbon- Vanille. Der Hauptinhaltsstoff Vanillin gleicht in der chemischen Struktur körpereigenen Sexuallockstoffen, den Pheromonen, die bei sexueller Erregung verströmt werden. Ein Küchentipp: Hühnerbrust oder Ente mit Vanille zubereitet, lässt uns dahinschmelzen. Der durchblutungsförderliche Rosmarin wurde früher von Frauen für anregende Waschungen oder als Badezusatz verwendet. Ein solches Bad steigert durch die enthaltenen ätherischen Öle die Erregbarkeit der Haut.


Buch-Tipp fürs Gehirndoping:

Kann man mit Gewürzen die Gehirnleistung steigern? Und wie! Schon der Duft einiger Gewürze bringt Konzentration und Merkfähigkeit blitzschnell auf Touren. Gewürze können noch mehr: die Stimmung aufhellen, Stressschäden abfangen, dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Die grauen Zellen bleiben länger jung und fit. Echtes Gehirndoping, ganz natürlich. Die Molekularbiologin Sabine Paul verrät in ihrem Buch, wie Gewürze ins Gehirn kommen und was sie bewirken: «Gehirndoping mit Gewürzen: Das Upgrade für Konzentration, Gedächtnis, Stimmung und Stress-Resistenz» (Expert Fachmedien GmbH, 2. Auflage 2020).

 


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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