«Akzeptieren Sie die Krise»

 Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 12. November 2020

(pixabay)

Eine schlimme Diagnose erschüttert und kann in eine Depression führen. Was das für Betroffene und ihr Umfeld bedeutet, sagt der Arzt und Psychotherapeut Andreas Schmid.

Herr Schmid, wie gehen Menschen mit einer schwierigen Diagnose um?
Viele sind wie betäubt, andere reagieren übertrieben rational und wollen sofort nach Lösungen suchen, oder sie bleiben erstaunlich gelassen. Die Reaktionen sind abhängig vom Schweregrad und von der Prognose etwa nach einem Schlaganfall oder einer Tumorerkrankung. Auch frühere Erfahrungen spielen eine Rolle. Wer im Leben immer schon Pech hatte, kann ungünstig reagieren: «Bei mir läuft immer alles schief!» Oder: «Der Verlauf wird sicher schlecht sein!» Betroffene können gar das Gefühl haben, dass sie an ihrer Krankheit schuld sind.

Wie äussert sich eine Depression durch Krankheit ?
Im Zentrum stehen wie bei jeder Depression die bedrückte Stimmung sowie Lust-, Freud- und Interesselosigkeit. Hinzu kommen Verunsicherung und die Angst, dass die Krankheit fortschreiten wird. Das zeigt sich oft auch körperlich mit Druck auf der Brust, Verdauungsproblemen oder Verspannungen.

Andreas Schmid, Leitender Arzt für Psychotherapie, Klinik Schützen, Rheinfelden

Sind Wechselwirkungen möglich?
Eine vorbestehende Depression erhöht tatsächlich das Risiko beispielsweise für einen Herzinfarkt. Andererseits reagieren viele mit einer Depression auf einen Herzinfarkt.

Wie lässt sich eine solche Depression vermeiden?
Eine Depression zu vermeiden, die in enger Wechselbeziehung mit einer schweren Krankheit auftritt, ist schwierig, aber machbar. Sie kann auch eine Chance sein, sich seiner Krank­heit und anderen anstehenden Fragen zu stellen und dabei viel­leicht sogar an Lebensqualität zu gewinnen. Wohldosierte In­formationen durch den Arzt und ergänzende Angebote sind ebenfalls wichtig. Bei einer Krebserkrankung suchen viele Patientinnen und Patienten die Hilfe von Psychotherapeuten. Ein entscheidendes Element ist das Annehmen der schwierigen Umstände. Also Akzeptanz, nie aber Resignation.

Was kann das Umfeld machen?
Wichtig sind eine wohlwollende Offenheit, viel Geduld und das Vermeiden von Druck. Als An­gehörige ist es gut, wenn man dem Betroffenen Zeit lassen und sich ein Bild machen kann: Was braucht die leidende Person? Was überfordert sie? Man muss ihr Raum geben für Gefühle wie Trauer, Wut, Enttäuschung oder das Ausgeliefertsein. Wichtige Themen bei einer lebensbedroh­lichen Krankheit sind oft auch: Ordnung schaffen, Klären, Be­reinigen und Versöhnen.

Und wie gehen Nahestehende damit um?
Bedeutungsvoll ist die Selbstfür­sorge. Menschen, die sich selbst Sorge tragen, können Menschen in Krisen besser unterstützen. Das erfordert Kraft. Diese findet man etwa in Beziehungen, im Sport oder in der Musik.

 

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