«Feedbacks helfen, das Bild von sich zu stärken»

Interview Jeanne Fürst und Danica Gröhlich, 17. September 2020

«Feedbacks helfen, das Bild von sich zu stärken»

(pixabay)

Zu dick, zu dünn: Es gibt Leute, die sich für ihren Körper schämen. Die Psychotherapeutin Cornelia Bogenreuther sagt, wie man ein krankhaftes Schamgefühl abstreifen kann.

Frau Bogenreuther, warum schämen wir uns?
Scham gehört zu den sogenannten Grundaffekten. Sie entwickelt sich mit dem Selbstwertgefühl etwa im Alter von zwei Jahren und ist eigentlich nichts Krankhaftes. Scham reguliert zwischenmenschliche Beziehungen. Wann trete ich jemandem zu nahe oder überschreite gar dessen Grenze?

Wann werden Schamgefühle krankhaft?
Wenn Scham andere Emotionen verdrängt. Scham äussert sich beispielsweise durch Essstörungen. Betroffene schämen sich, sich selber zu zeigen. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Ich und dem Ideal. Diese Selbstwertproblematik wird kompensiert über eine psychische Symptombildung wie zum Beispiel Magersucht.

Ist Angst auch ein Thema?
Scham versteckt sich meist hinter Angst. Bei der Agoraphobie etwa besteht die Angst, an bestimmte Orte und unter Menschen zu gehen. Hier verbirgt sich die Scham, sichtbar zu werden. In der Folge kann es zu psychosomatischen Beschwerden kommen wie Herzrasen, Schwitzen oder Kopfschmerzen durch innere Anspannung.

Cornelia Bogenreuther, Psychotherapeutin, Klinik Schützen Rheinfelden

Wer schämt sich besonders?
Männer haben aus Angst vor Gesichts- oder Statusverlust mehr Mühe, darüber zu sprechen. Frauen berichten eher über Körperscham. Scham zieht sich aber durch alle Altersgruppen. Jüngere sind noch in der Identitätsfindung. Auch in Rente zu gehen, kann zu Beschämung führen, wenn das Leben nur über die Arbeit definiert war.

Welche Rolle spielt die Gesellschaft?
Bei Körperscham etwa besteht die Angst, nicht den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Mit einem geringeren Selbstwertgefühl versuchen diese Personen erst recht, den Normen zu entsprechen. Scheitern ist programmiert. Die Scham nimmt zu. Es kommt zu einem Teufelskreis.

Kann dieser in einer Depression enden?
Auf jeden Fall. Diese Menschen wollen sich selbst nicht mehr spüren. Sie verlieren den Antrieb, ziehen sich immer mehr zurück. Eltern sollten dann ihre Sorge offen ansprechen: «Ich merke, dir geht es nicht so gut. Ich bin für dich da!» In Beziehungen rate ich zu einer ehrlichen Auseinandersetzung ohne falsche Schonhaltung. Wenn Sie selbst an Ihre Grenzen stossen, holen auch Sie sich Unterstützung.

Was können Betroffene sonst noch machen?
Der erste Schritt: sich Hilfe holen. Eine ambulante Therapie wäre ein guter Anfang. Um Abstand zu bekommen, empfiehlt sich ein stationärer Aufenthalt. Bei Scham und mangelndem Selbstwert kann eine Gruppentherapie wertvoll sein. Die Feedbacks anderer helfen, die Eigen- und die Fremdwahrnehmung zu verbessern.

 

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