Lebensgefährliche Verwechslung

Von Danica Gröhlich, 16. September 2020

Einziger Schutz vor echten Vergiftungen bietet nur die Pilzkontrolle. (iStock)

Wenn Vergiftungen mit den Pilzen aus dem Boden schiessen: Was ist bei auftretenden Symptomen zu tun und wo besteht Gefahr?

«2019 war wirklich ein aussergewöhnliches Pilzjahr. Alle sind in die Schweizer Wälder geströmt und haben mitgenommen, was ging. Wir wurden mit Anfragen überhäuft», erinnert sich Dr. Katharina Schenk-Jäger, Oberärztin und Pilzexpertin bei Tox Info Suisse. Auch ohne Pilzschwemme nehmen sie und ihre Fach-Kolleginnen und -Kollegen an Spitzentagen bis zu 150 Anrufe mit Fragen bei Verdacht auf eine Vergiftung entgegen. Bis zu 15 Fälle am Tag betrafen in der letzten Saison Pilze. Heute melden sich deswegen etwa vier Personen täglich, was einem «normalen» Pilzjahr entspricht. Das klinge zwar nach wenig, doch seien solche Notrufe aufwändiger zu handhaben, wie die Ärztin bestätigt. «Wenn ein Kind zum Beispiel Shampoo verschluckt, dann wissen wir, was drin ist. Pilze haben keine Etikette. Deshalb ist ein Anruf wegen einer möglichen Pilzvergiftung nicht in zwei Minuten erledigt.»

Vergiftet oder verdorben?

Ob es sich um eine Vergiftung oder bloss um einen verdorbenen Magen handelt, ist schwierig zu unterscheiden. Denn auch eine potenziell gefährliche Pilzvergiftung fängt mit Magen-Darm-Symptomen an. «Wenn es den Anrufern schnell schlecht wird und sie sich bereits nach einer Stunde übergeben mussten, weist das eher auf eine harmlose Unverträglichkeit hin», erklärt die Ärztin. Bei einer Vergiftung dagegen, etwa durch Knollenblätter, setzen Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall oft erst nach sechs bis 12 Stunden ein. Doch bis dahin gehen die Leberzellen bereits unbemerkt zugrunde. Die Zeitdauer gibt also in erster Linie Auskunft, ob es sich eher um harmlose Magen-Darm-Beschwerden handelt oder gar um eine lebensbedrohliche Vergiftung. Deren Anzahl bleibt mit höchstens acht Fällen pro Jahr konstant. Der letzte Todesfall in der Schweiz war 2009 – durch hochgiftiges Amatoxin im Knollenblätterpilz. «Da der Zeitfaktor bis zum Beginn der Behandlung so entscheidend ist, schicken wir Betroffene bei Vergiftungsverdacht gleich ins Spital. Ein Risiko können wir nicht eingehen.»

Beschwerden und Behandlung

Tritt bereits Übelkeit auf, so rät die Ärztin: «Keinesfalls das Erbrechen provozieren!» Wir Menschen stellen uns ungeschickt an und könnten uns an unserem eigenen Erbrochenen verschlucken. Sie warnt zudem vor Hausmitteln wie Milch zu trinken, die keinen erwiesenen Nutzen haben. Das sei gefährlich, da wertvolle Zeit verstreiche. «Rufen Sie sofort die Notfallnummer 145 an. Falls wir Sie in den Notfall schicken, nehmen Sie Pilzreste oder Rüstabf.lle für die Begutachtung durch einen Notfallpilzexperten mit.» Erbrochenes werde aus hygienischen Gründen nicht mehr untersucht.

Besteht der Verdacht auf Verzehr von Grünem Knollenblätterpilz, so ist als erstes zu verhindern, dass der Körper dessen Gift weiter aufnimmt. Aktivkohle bindet dank der grossen Oberfläche Giftstoffe. Als zweite Säule folgt das spezifische Gegengift. Bei Knollenblättern ist das ein Extrakt aus Mariendistel, das verhindert, dass Gift in den Leberzellen aufgenommen wird. In einem dritten Schritt gleichen die Ärzte den Flüssigkeits- sowie Salzhaushalt aus. Vor allem ältere Personen oder kleine Kinder dehydrieren rasch.

Dr. med. Katharina Schenk-Jäger, Oberärztin und Pilzexpertin, Tox Info Suisse (zVg)

Irren ist gefährlich

Die Fruchtschicht der Pilze, also die Unterseite des Hutes, ist ein guter Anhaltspunkt zur Beurteilung. Unter den Röhrenpilzen mit einer Fruchtschicht wie ein Badeschwamm (z. B. Steinpilz) und Leistenpilzen (z. B. Eierschwämmli) gibt es keine Arten, die lebensbedrohlich giftig sind. Verwechslungen mit einem Steinpilz machen den Konsument eher Bauchweh. Etwa der Gallenröhrling. Dieser schmeckt zwar gallenbitter, doch aus genetischen Gründen nehmen dies nicht alle Menschen gleich wahr. Auch beim Satansröhrling ist der Name Programm: Sein Verzehr löst höllische Bauchschmerzen aus.

Sammler können auch die beliebten Eierschwämmli verwechseln, etwa mit einem orangen Falschen Pfifferling. Dieser ist zwar nicht giftig, kann jedoch zu Verdauungsstörungen wie Brech-Durchfall führen. Anders beim Spitzgebuckelten Raukopf, einem Lamellenpilz, der unter Umständen jungen Eierschwämmchen ähnelt: Er enthält den Giftstoff Orellanin und führt unbehandelt zu tödlichem Nierenversagen. Ein besonders perfider Pilz, da erste Symptome manchmal erst drei Wochen später auftreten. So kann häufig der Kausalzusammenhang nicht mehr gemacht werden.

Typische Vertreter für die dritte Kategorie mit Lamellen, die auch Blätter heissen, sind Champignons, aber auch der nierengiftige Raukopf sowie der sehr giftige Grüne Knollenblätterpilz. Wieso eine Verwechslung mit Letzterem häufig vorkommt, kann die Oberärztin der Tox Info Suisse nachvollziehen: «Wir bekommen über die Hotline zu hören, dass Spaziergänger Pilze auf einer Wiese gesammelt hätten, weil diese wie Champignons aus dem Grossverteiler ausgesehen hätten.» Zudem hat die Kennerin, die selbst als Pilzkontrolleurin tätig ist, einen wichtigen Tipp: «Sammeln Sie keine noch kleinen Exemplare. Erst bei einem gut gewachsenen Pilz können Sie klar erkennen, ob dieser Lamellen, Leisten oder Röhren hat.»

Frisch auf den Tisch

Die häufigsten Vergiftungssymptome bei Erwachsenen treten aber nach dem Verzehr von verdorbenen Speisepilzen auf. «Behandeln Sie Pilze wie ein rohes Stück Fleisch. Sie müssen gekühlt und rasch verarbeitet werden», rät die Expertin. Und: «Essen Sie Pilze nie roh!» Ebenfalls ungünstig sei es, getrocknete Steinpilze wie Chips zu essen oder Morcheln nur kurz einzuweichen. «Das rächt sich oft umgehend mit Erbrechen und Durchfall», warnt die Medizinerin. Sie rät daher, die Pilze mindestens 20 Minuten zu kochen. Ihr Tipp: «Ich fange immer zuerst mit den Pilzen an. Erst dann hole ich im Keller den Weisswein fürs Risotto.»

Pilze sollten zudem nur Beilage sein. Denn der menschliche Magendarm- Trakt wird im Alter empfindlicher und grössere Mengen werden schwerer verdaulich. Was tun mit Pilzresten? Das Aufwärmen ist doch ungesund. Dr. Ka tharina Schenk-Jäger gibt Entwarnung: «Das ist ein Mythos und stammt noch aus der Zeit, als es keine Kühlschr.nke gab. Stellen Sie die Pilze nach dem Erkalten kühl. Innerhalb 48 Stunden können Sie die Pilze bedenkenlos wieder aufwärmen und essen.»

Ob die Corona-Krise erneut einen Pilzel-Boom im Herbst auslöse, wenn die Ferien eher daheim verbracht werden, bleibe abzuwarten. Vor allem das Wetter müsse mitspielen. «Etwas Regen, 20 Grad und wenig Wind sind ideal für Pilze», verrät Dr. Katharina Schenk-Jäger noch, bevor sie selbst im Wald ihr Pilzglück sucht.


Erste Hilfe bei Vergiftungen

Tox Info Suisse ist die offizielle Informationsstelle der Schweiz für alle Fragen rund um Vergiftungen. Ärztinnen und Ärzte sowie andere medizinische Fachpersonen geben über die Notfallnummer 145 während 24 Stunden täglich Auskunft.

www.toxinfo.ch


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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