Wie Tiere heilen

Von Danica Gröhlich, 10. Juni 2020

Weit mehr als treue Wegbegleiter: Hilfe auf vier Pfoten. (iStock)

Der Hund gilt als bester Freund des Menschen. Welchen Einfluss er und andere Tiere auf unsere Gesundheit haben.

Tierhalter leben gesünder: Eine Vergleichsstudie aus England zeigt, dass Haustierbesitzer 15 Prozent weniger oft zum Arzt gehen und dadurch umgerechnet etwa zwei Milliarden Franken pro Jahr an Gesundheitskosten einsparen. Denn Tierhalter haben weniger Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen und Depressionen. Wie Tiere mithelfen können, menschliches Leiden zu lindern, erklärt Dr. Karin Hediger. Sie ist Präsidentin des Institutes für Interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung (IEMT Schweiz), Psychotherapeutin am Zentrum für Psychotherapie der Universität Basel und forscht am REHAB Basel. Hier kommen Menschen mit einer Hirnverletzung und Querschnittlähmungen auch dank tiergestützter Therapie zurück ins Leben. Derzeit wohnt die Fachpsychologin mit Meerschweinchen und Chinchillas unter einem Dach und kümmert sich gemeinschaftlich auf einem Hof um Pferde, Ziegen, Hühner sowie Hasen.

Frau Dr. Hediger, welchen Einfluss haben Tiere auf Menschen – auch auf kranke?
Zahlreiche Studien weltweit belegen, dass Tiere deutlich zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen beitragen. So können Tiere einen positiven Einfluss auf die Psyche haben, Stress und Ängste reduzieren oder den Kontakt zu Mitmenschen fördern. Somit wirken sie als «sozialer Katalysator», wie die Forschung es nennt. Sehr gute Ergebnisse sehen wir bei Suchtpatienten oder Menschen mit Autismus. Auch Kinder, die nach einer Operation Besuch von einem Therapiehund bekommen, nehmen durch die Ablenkung und über die hormonelle Veränderung weniger Schmerzen wahr.

Hat das Streicheln einen Einfluss auf die Hormone?
In Stress-Situationen wird das Stresshormon Cortisol vermehrt ausgeschüttet. Zu den wichtigsten Funktionen gehört die hormonelle Regulation des Salz- und Wasserhaushaltes in der Niere. Es wirkt entzündungshemmend, erhöht den Blutzucker-Spiegel, um «unter Strom» mehr Energie bereitzustellen, und hat Einfluss auf den Fettstoffwechsel. Tiere beruhigen also, weil weniger Stresshormone produziert und auch die Herzrate gesenkt wird. Zudem wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, welches das Vertrauen und eben soziale Bindungen fördert. Vor allem beim Streicheln von Hunden ist dieser Effekt zu sehen.

Haben auch andere Tiere wie Fische, die wir nicht streicheln können, einen positiven Einfluss?
Das wissen wir noch nicht so genau, da die Beziehung mit Hunden natürlich einfacher zu erforschen ist. Eine Studie zeigte aber bereits, dass Demenz-Erkrankte einen Viertel mehr essen, wenn ein Aquarium im Speisesaal steht. Sehr viele Tiere haben einen Effekt, was auf der Biophilie-Hypothese beruht. Diese nimmt an, dass der Mensch ein angeborenes Interesse und eine grundlegende Verbundenheit zur Natur sowie allem Lebenden hat.

Dr. Karin Hediger, Fachpsychologin und Präsidentin IEMT Schweiz (zVg)

Hilft es auch, Vögel oder Kühe in der Natur zu beobachten?
Schon nur draussen an der frischen Luft zu sein und Tiere zu beobachten, hat positive Effekte. Einer Kuh beim Wiederkäuen zuzusehen, sendet auf körperlicher Ebene ein Stressreduktionssignal aus und kann sehr entspannend sein. Die Effekte werden aber verstärkt, wenn eine Interaktion zwischen Tier und Mensch sowie eine Beziehung stattfinden kann. Deshalb, und insbesondere aus tierethischen Gründen, ist es wichtig, dass keine Wildtiere, sondern domestizierte Tiere dafür ausgewählt werden. Also keine Delfine für eine Therapie.

Warum werden meist Hunde zur Assistenz eingesetzt? Könnten auch andere Tiere trainiert werden?
Hunde können Menschen sehr gut lesen, sind leicht trainierbar und sie sind sehr flexibel in unterschiedlichen Situationen. Als Blindenführhunde können sie jemanden überall hinbegleiten, was beispielsweise mit einem Pferd nicht geht. Ein Hund besitzt bis zu 220 Millionen Riechzellen, wir haben nur fünf Millionen. Mit ihrer Supernase können sie als Suchhunde Menschen aufspüren, Diabetiker vor einer Unterzuckerung bewahren oder sogar Krebs erschnüffeln. Der Geruch der ausgeatmeten Luft ermöglicht ihnen diese Diagnose mit einer erstaunlichen Trefferquote von mehr als 90 Prozent. Auch Ratten werden über den Geruch zur Sprengstoff-Suche abgerichtet. Sie sind zwar sehr klein und können durch ein Rohr in ein Haus geschickt werden, sind aber aufwändiger zu trainieren und leben nicht so lange.

Können Mensch und Tier ähnliche Krankheiten haben?
Es bestehen so viele Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt, dass es eigentlich nur eine Gesundheit geben kann. Davon geht das sogenannte One-Health-Konzept aus. Deshalb gibt es auch Bestrebungen, verschiedene Krebsregister zusammenführen. Wenn beispielsweise an einem Ort vermehrt Hunde erkranken, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch mehr Menschen das gleiche Leiden bekommen, da sie denselben Umweltfaktoren und Reizen ausgesetzt sind. Zudem bestehen Zoonosen. Das sind Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden können, etwa klassische Coronaviren von Schweinen und Kühen. Viele Fragen zu psychischen Wechselwirkungen sind aber noch offen: Wenn ein Hund mit einer depressiven Person im Haushalt lebt, färbt das auch auf das Tier ab? Löst eine potentielle Vernachlässigung depressive Symptome beim Hund aus?

An welchen Fragen forschen Sie persönlich gerade?
Aktuell ist das IEMT Schweiz mit der Universität Basel und dem REHAB Basel an einem sehr spannenden Projekt. Wir sehen bereits jetzt, dass Patienten mit Hirnverletzungen sehr gut auf Tiere reagieren. Die Motivation ist grösser, wenn ein Tier anwesend ist. Selbst bei schwereren Hirnverletzungen und minimalem Bewusstheitszustand zeigen diese Patienten mehr Reaktionen. Weltweit laufen einige Untersuchungen, wie die Tier-Mensch-Beziehung in der Corona-Krise aussieht. Wir können aber bereits jetzt davon ausgehen, dass trotz der Minimierung des sozialen Netzwerkes, Tierbesitzer weiterhin einen sozialen Partner hatten. Natürlich kann ein Tier nur zu einem gewissen Grad den sozialen Kontakt ersetzen. Ein Hund etwa hilft aber auch, die Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Durch das Gassigehen muss eine Alltagsnormalität stattfinden. Die Auswirkung auf Tiere in diesen Zeiten wäre natürlich ein weiterer, spannender Aspekt.


Therapeut mit Fellnase

EpiDogs sind ausgebildete Begleithunde, die einen epileptischen Anfall bereits im Voraus anzeigen können. Wie der Vierbeiner das macht, können Sie sich nochmals online in der Sendung vom 30. März 2019 ansehen.


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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