Wie Scherben im Gelenk

Von Danica Gröhlich, 18. März 2020

Unerträgliche Qualen im Gelenk: Wie sich ein Gicht-Anfall bemerkbar macht. (iStock)

Heftige Schmerzen im grossen Zeh: Hoher Fleischkonsum kann über Nacht zur Wohlstandskrankheit Gicht führen.

Früher galt Gicht als Krankheit der Könige. Denn nur die Gutbetuchten konnten sich Fleisch und Alkohol im Überfluss leisten. Doch inzwischen wurde diese äusserst schmerzhafte Rheuma-Form von einer Wohlstandskrankheit beinahe zu einem Volksleiden. «Die Zahl der Betroffenen nimmt eindeutig zu», stellt auch Dr. Andreas Krebs fest. Der Facharzt aus Kloten (ZH) befasst sich seit über 30 Jahren mit rheumatischen Erkrankungen, die den Aufbau des Bewegungsapparates – Knochen, Gelenke, Bänder, Muskeln, Sehnen – sowie das Bindegewebe betreffen. Ein Anstieg von Gicht sei vor allem in industrialisierten, westlichen Ländern zu beobachten. So habe die USA stark damit zu kämpfen, Europa etwas weniger, was laut Experte mit der Ernährung zusammenhänge. Doch was ist Gicht genau und wie entsteht sie?

Erste Anzeichen von Gicht

Dr. med. Andreas Krebs, Facharzt für Rheumatologie in Kloten (ZH) (zVg)

Bei Gicht ist der Harnsäure-Pegel im Körper zu hoch. Die Harnsäure wird an verschiedenen Orten abgelagert, am häufigsten in den Gelenken und Sehnen. Dort löst sie Entzündungen aus. Besonders feuchtfröhliche Feiern mit Schlemmereien von Fleisch und Fisch haben ein starke Schwankung des Harnsäure-Pegels zur Folge, was einen Gicht-Anfall auslösen kann. Aber auch in der Fastenzeit könnte sich die Gicht bemerkbar machen, sobald der Pegel aus dem Gleichgewicht gerät. Und: Diese akute Gelenksentzündung zeigt sich innert Stunden. Grundsätzlich kann sie in allen Gelenken auftreten. Typischerweise aber in den unteren Extremitäten: Im Grundgelenk der grossen Zehe, am zweithäufigsten im Knie und dann im Sprunggelenk, also Knöchel. Sehr selten sieht Dr. Krebs in seiner Praxis einen Gicht-Anfall in der Schulter. Bei älteren Patientinnen und Patienten steckt die Entzündung auch in den Fingern. Anzeichen für Gicht ist ein geschwollenes, rotes und heisses Gelenk. «Es gibt keine andere Entzündung, die von 0 auf 100 so extrem weh tut», erklärt der Facharzt. «Stechend ist noch untertrieben!» Gicht-Kranke beschreiben ihre Qualen als hätten sie Scherben im Gelenk. Zudem ist das Gelenk äusserst berührungsempfindlich. Da die Symptome oft über Nacht auftreten, ertragen Betroffene die Bettdecke nicht mehr. Eine Gicht lässt sich gegenüber weiteren Formen von Rheuma gut unterscheiden. Denn bei anderen rheumatischen Erkrankungen sind meist mehrere Gelenke befallen. Gicht dagegen ist eine akute Mono-Arthritis, in der Regel ist nur ein Gelenk entzündet. Als sogenannter Goldstandard für den Beleg von Gicht weist der Rheumatologe die Harnsäurekristalle in der Gelenksflüssigkeit nach. Dazu punktiert er das Gelenk mit einer dünnen Nadel. Eine Betäubung sei nicht nötig. «Es fühlt sich so an, als würden Sie eine Spritze bekommen.» Allerdings sei das gar nicht so einfach, wenn beispielsweise die ganze Zehe geschwollen sei. Um den Gelenkspalt zu finden, hilft bei der Punktierung ein Ultraschall.

Frauen sind besser geschützt

Grundsätzlich nimmt die Häufigkeit von Gicht mit zunehmendem Alter zu. Und weil wir immer älter werden, muss auch Dr. Krebs immer häufiger diese Diagnose stellen. Bis 50 sind Männer allerdings weitaus mehr gefährdet. Denn Frauen sind bis zur Menopause meist vor Gicht gefeit. Die Wissenschaft nimmt an, dass Östrogene, die weiblichen Sexualhormone, diesen Schutz bieten. Auch unterschiedliche Lebensgewohnheiten könnten eine Rolle spielen  Im Alter nimmt die Nierenfunktion ab, weshalb die Harnsäure nicht mehr vollständig ausgeschieden wird. Gewisse Medikamente zur Entwässerung bei Bluthochdruck oder Herzschwäche begünstigen Gicht ebenfalls.

«Es gibt keine andere Entzündung, die von 0 auf 100 so extrem weh tut.»

Zu viel Fleisch oder die Gene?

Gicht ist keine klassische Erbkrankheit. Jemand kann höchstens eine Veranlagung haben, zu wenig Harnsäure auszuscheiden. Meist sieht der Mediziner eine Kombination: Der Körper scheidet zu wenig Harnsäure aus und zugleich wird zu viel Harnsäure zugeführt. Deshalb spiele neben einem ungesunden Lebensstil mit Bewegungsmangel und eventuellem Übergewicht die Ernährung eine besondere Rolle. Tierische Proteine wie Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte fördern die Produktion von Harnsäure. Denn die darin enthaltenen Purine werden im menschlichen Körper zu Harnsäure abgebaut. Auch Bier wirkt sich ungünstig aus. Wer sich täglich zwei Glas Bier gönnt, erhöht sein Risiko, einen Gicht-Anfall zu erleiden, um 200 Prozent, wie es bei der Rheumaliga Schweiz heisst. Grund dafür ist das Purin in der Hefe, die bei der Bierherstellung den Gärprozess in Gang setzt. Das gilt übrigens auch für alkoholfreies Bier. Weniger Auswirkungen hat der Konsum von Wein: Männer dürfen sich täglich maximal zwei Gläser und Frauen ein Glas Wein gönnen, ohne das Gicht-Risiko merklich zu erhöhen. Der Experte warnt auch vor zu viel Fruchtzucker, der als Süssungsmittel in Softdrinks und Multivitaminsäften enthalten ist. Fructose ist das einzige Kohlenhydrat mit einem direkten Effekt auf die Harnsäure: Wenige Minuten nach dem Konsum steigt die Konzentration in Blut und Urin an.

Erfolge durch Ernährung

Um weitere Gicht-Anfälle zu vermeiden, empfiehlt der Facharzt zuerst die Anpassung des Lebensstils: «Heute nennt man das Lifestyle Modification. Diese ist einfach, hat keine Nebenwirkungen und ist erst noch gratis.» Übergewichtige sollten abnehmen und die Ernährung umstellen. Bier ist für Gichtkranke tabu, keine Fruchtgetränke sowie Zurückhaltung bei Fleisch und Fisch. Beides sollte nicht mehr jeden Tag auf dem Teller landen. Essen Sie besser Käse. Milchprodukte sowie Eier sind purinfrei oder -arm. Sie eignen sich besonders als Proteinquelle, da reines Eiweiss die Harnsäure-Ausscheidung über die Niere fördert. Natürlich reiche eine Diät alleine nicht aus, um Gicht zu vermeiden. Medikamente, die den Harnsäure-Pegel senken, sind in jedem Fall wichtig. Sie müssen allerdings ein Leben lang eingenommen werden, da Gicht eine chronische Krankheit ist. Es bestehe aber eine gute Chance, dass deren Einnahme später doch reduzierbar sei. In seiner langjährigen Tätigkeit sah Dr. Krebs immer wieder Erfolge: «Ich hatte auch schon Patienten, die sehr konsequent waren und mit einer Ernährungsumstellung 20 Kilo abnahmen – und keine Gicht-Anfälle mehr hatten.»

 


Was ist eine Pseudogicht?

Eine Krankheit, die ebenfalls sehr häufig vorkommt, ist die Pseudogicht. Für diese akute Entzündung des Gelenkes liegt allerdings nicht Harnsäure zu Grunde, sondern Calcium-Pyrophosphat. Unter dem Mikroskop sind diese zwei Kristall- Arten eindeutig zu unterscheiden. Röntgenbilder können Langzeitschäden sowie Verkalkungen der betroffenen Gelenke sichtbar machen. Die Pseudogicht tritt ebenfalls akut auf, ist auch äusserst schmerzhaft und zeigt sich durch starke Schwellungen. Allerdings sind andere Gelenke betroffen, meist das Knie und vor allem die Handgelenke.

Weitere Informationen finden Sie auf der Internet-Seite der Rheumaliga Schweiz: www.rheumaliga.ch


Danica Gröhlich ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
Empfehlen Sie diesen Beitrag weiter: