«Angst ist kein Thema»

Von Nadine A. Brügger, 18. Dezember 2019

Rémy Frieden (22) studiert Medizin in Basel. Mit 17 Jahren erkrankte er erstmals an Leukämie. (z.V.g.)

Der 22-jährige Rémy Frieden leidet an Akuter Lymphatischer Leukämie (ALL). Bereits zum zweiten Mal hat er dem Krebs den Kampf angesagt.

Rémy Frieden hat das Leben noch vor sich. Gerade studiert er Medizin in Basel. Welche Spezialisierung es dereinst sein soll, weiss er noch nicht. Kardiologie? Neurologie? Orthopädie? Für den Entscheid bleibe noch Zeit, sagt er. Dass Frieden diese Zeit hat, verdankt er selber der Medizin. Und einem richtig starken Willen.

«Ich muss damit leben, dass die Krankheit zurückkommen kann.»
Rémy Frieden (22), ALL-Patient

Angefangen hatte alles mit stechenden Bauchschmerzen. Dazu Verstopfung und Übelkeit. 17 Jahre alt war Frieden damals, Gymnasiast – und mitten in den Vorbereitungen für eine Reise nach Japan. Weil ein Flug mit so heftigen Magenbeschwerden kein Zuckerschlecken würde, beschloss Frieden, beim Hausarzt um ein Mittel zu bitten. Der Hausarzt allerdings griff nicht in den Medizinschrank, sondern schickte ihn sofort ins Kantonsspital. Dieses verwies ihn weiter ans Universitätsspital.

Diagnose Blutkrebs

Statt einem Mittel gegen Magen-Darm-Grippe bekam Frieden dort seine Diagnose: Akute Lymphatische Leukämie (ALL, siehe Box). Sofort wurden die Hygienemassnahmen um den jungen Mann hochgefahren. Denn dieser Blutkrebs schwächt das Immunsystem. Dann kam die Chemotherapie – und die Angst? «Erstmal geht einem gar nichts durch den Kopf», sagt Frieden. Es sei einfach zu viel auf einmal passiert. Das Nachdenken kam erst später. «Nach der ersten Chemo war ich zwei Wochen im Spital. Da hat man viel Zeit.» Er schweigt einen Moment. «Angst war aber nie ein allzu grosses Thema. Alle waren zufrieden damit, wie gut die Behandlung anschlägt. Meine Angst ist nur, dass sich das irgendwann ändert.»

Frieden übersteht die Chemo und bekommt eine Blutstammzelltransplantation. Die Stammzellen eines fremden Spenders sammeln sich in seinem Rückenmark und produzieren dort neues, gesundes Blut. Langsam erholt sich der Körper. Die Kräfte kehren zurück – und wie: Frieden holt den verpassten Unterrichtsstoff nach, macht Matura, schreibt sich als Student an der medizinischen Fakultät in Basel ein. Doch die Krankheit hinterlässt Spuren. «Ich bin kritischer geworden. Viele Leute denken, wenn der nicht mehr ins Spital muss und gesund aussieht, ist alles gut. Das dachte ich am Anfang selber. Aber das ist nicht so. Es ist nicht alles abgeschlossen. Ich muss damit leben, dass die Krankheit zurückkommen kann.»

ALL betrifft vor allem Kinder und Jugendliche, hat aber gute Heilungschancen.

2019 passiert genau das. Die Schmerzen sind wieder da. Diesmal im Rücken. «Ich hatte einen Tumor in der Wirbelsäule, das hat über den Rücken in die Beine ausgestrahlt. Im Knochenmark konnte man wieder Spuren der Leukämie sehen», sagt Frieden. Nach vier Jahren ist der Krebs zurück – und Rémy Frieden wieder im Spital. Dort, wo Zeit zum Nachdenken bleibt. Er zuckt die Schultern. Sich Sorgen machen, das passt nicht zu ihm. Optimismus, das ist sein Ding. «Ich bekomme im Januar eine Stammzelltransplantation. Danach bin ich etwa dreissig Tage im Spital.» Nach der Transplantation ist das Immunsystem der Patienten heruntergefahren, es besteht hohe Ansteckungsgefahr. Zudem ist der Körper stark geschwächt. Im Krankenhaus kann Frieden sich erholen.

«Nach meinen Berechnungen kann ich Mitte Februar aus dem Spital. Danach möchte ich zurück an die Uni. Im März will ich wieder einigermassen bei Kräften sein.» Rémy Frieden will viel erreichen – und hat nicht vor, sich vom Krebs davon abhalten zu lassen.

Informationen für Betroffene und Angehörige zum Thema Leukämie gibt es unter:
www.das-ist-blutkrebs.ch.
Die Krebsliga bietet ebenfalls Informationen und vermittelt Betroffenen-Gruppen.
Krebstelefon: 0800 11 88 11
Internet: www.krebsliga.ch


Leukämie – das kranke, weisse Blut

Der Name «Leukämie» leitet sich von den griechischen Worten für «weiss» und «Blut» ab. Denn der Blutkrebs führt zu einer krankhaften Überproduktion von Blutzellen im Knochenmark. Meist sind es die weissen Blutkörperchen (Leukozyten). Sie gelangen in viel zu hoher Zahl und nicht funktionsfähig ins Blut und zu den Organen. Sie verdrängen die gesunden Leukozyten, die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) und hemmen deren Produktion. Damit verliert das Blut, der Lebenssaft des Menschen,
seine Funktionsfähigkeit.

Wirkungsloser Lebenssaft

Die Folgen sind Müdigkeit und Blässe, manchmal Atemnot. Dazu oft stärkeres Bluten, etwa Nasenbluten oder Zahnfleischbluten. Denn es fehlen Blutplättchen für die Blutgerinnung. Auch das Immunsystem wird in Mitleidenschaft gezogen. Betroffene sind anfälliger für Infektionskrankheiten und haben schneller Fieber. Weil die Organe nicht mehr genügend gesundes Blut bekommen, können auch sie Symptome anzeigen. Typisch sind etwa stark angeschwollene Lymphknoten.

Arten der Leukämie

Die Leukämie teilt sich in vier Untergruppen. Akute lymphatische Leukämien (ALL), wie Rémy Frieden sie hat, kommen vor allem bei Kindern und Jugendlichen vor. Ihre Heilungschancen liegen sehr gut. Akute myeloische Leukämien (AML) dagegen treten vor allem bei Erwachsenen auf. Die chronisch lymphatischen Leukämien (CLL) sind nicht sehr aggressiv und treten vor allem bei älteren Patienten auf. Die chronisch myeloischen Leukämien (CML) betreffen meist Menschen zwischen 50 und 60 Jahren. Akute Leukämien müssen sofort behandelt werden, da sie einen schnellen Krankheitsverlauf zeigen. Chronische Leukämien hingegen verlaufen langsamer. Oft erfordern sie kein sofortiges Eingreifen, sondern müssen erstmal nur überwacht werden. Der Unterschied zwischen lymphatischer und myeloischer Leukämie liegt bei der Art der krankhaft vermehrten Blutzellen. Die Behandlung unterscheidet sich je nach Art der Leukämie und Gesamtzustand des Patienten.

Chemo und Transplantation

Häufig wird die Leukämie aber, wie bei Rémy Frieden, mit einer Chemotherapie behandelt. Die Medikamente der Chemotherapie (Zytostatika) enthalten ein Zellgift, dass auf Zellen wirkt, die sich schnell teilen. Das ist bei Krebszellen der Fall. Allerdings können auch gesunde Zellen, die sich schnell teilen, in Mitleidenschaft gezogen werden. Etwa jene der Schleimhäute. Auf die Chemotherapie folgt oft, wie bei Rémy Frieden, eine Blutstammzelltransplantation. Dabei wird mittels hochdosierter Chemotherapie das gesamte blutbildende Knochenmark des Patienten zerstört. Frieden erhielt danach Blutstammzellen eines Spenders, dessen Blutmerkmale nahe an den eigenen lagen. Die transplantierten Zellen siedeln sich im Knochenmark an und produzieren dort neue, gesunde Blutzellen.


Nadine A. Brügger ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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