Wenn der Krebs in den Knochen steckt

Von Nadine A. Brügger, 11. Dezember 2019

Florin Rupper (70) leitet die Myelom Kontaktgruppe der Region St. Gallen. (z.V.g.)

Das Multiple Myelom kennen viele besser als «Knochenmarkkrebs». Die Krankheit ist nicht heilbar. Doch es lässt sich mit ihr Leben – Florin Rupper* erzählt, wie.

Im Herbst 2014 neigte sich Florin Ruppers berufliche Karriere dem Ende zu. Geomatik-Ingenieur, Leitungsposition, Verwaltungsratspräsident. Dazu Schulratspräsident in St. Gallen, dreifacher Vater, mittlerweile fünffacher Grossvater. Ein glückliches, erfülltes Leben. Die erste Rente war ausbezahlt, als starke Schmerzen Ruppers Rücken malträtierten. «Ich war 65, eben pensioniert, und dachte erst: das kommt halt mit dem Alter.» Aber so plötzlich und heftig? «Nein», befand Rupper und ging zum Hausarzt. Der war erstmal ratlos.

Langer Weg zur Diagnose

Ein Spezialist fand schliesslich zwei gebrochene Rückenwirbel. Jetzt lag der Verdacht auf Osteoporose nahe: dünne, brüchige Knochen haben viele ältere Leute, allerdings meist Frauen. Doch das war noch nicht die Antwort. Die Ärzte suchten weiter – und fanden die Ursache von Ruppers Schmerzen tief in seinen Knochen, genauer: Im Knochenmark.

«Ich plane nicht mehr allzu weit. Was ich machen will, das mache ich jetzt.»
Florin Rupper, Patient Multiples Myelom

Im Knochenmark werden unsere Blutzellen hergestellt. Bei Florin Rupper kam es zu einer unkontrollierten Produktion von Plasmazellen. Diese Zellen sind wichtig für das Immunsystem und die Bildung von Antikörpern. Gerät ihre Produktion aber aus dem Ruder, werden sie gefährlich. Sie schwächen den Knochen, was zu Brüchen führen kann. Sie verdrängen gesunde Blutzellen, was zu Blutarmut führt. Patienten fühlen sich müde und schwach, spüren Schmerzen in den Knochen und sind anfälliger für Viren, weil ihr Immunsystem geschwächt ist. Die bösartigen Zellen bilden Klumpen und verhindern die Bildung von gesunden Blutzellen. Im Volksmund spricht man bei dieser Krankheit von Knochenmarkkrebs. Ärzte dagegen nennen sie Multiples Myelom.

«Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas davon gehört. Als die Ärzte dann sagten, das sei ein Blutkrebs – da schluckt man schon erstmal leer», erinnert sich Rupper.

Neue Blutstammzellen

Ein «rechter Knick» sei dieser Sommer 2015 gewesen. «Das Multiple Myelom ist nicht heilbar. Die Prognose lautet: fünf bis sechs Jahre. Danach lebt nur noch die Hälfte der Patienten», sagt Rupper trocken. Keine Prognose, die allzu hoffnungsvoll stimmt.

Aber Rupper, sein Leben lang einer, der Probleme anpackt und löst, informierte sich über mögliche Therapien und legte los. Eine hochdosierte Chemotherapie zerstörte die kranken Plasmazellen in Ruppers Knochenmark. Dann kam die Stammzelltransplantation. Dazu werden Blutstammzellen von einem Spender in das Knochenmark des Patienten transplantiert. Dort produzieren sie von nun an gesunde Blutzellen. Damit der Körper die gespendeten Blutstammzellen annimmt, wird das Immunsystem heruntergefahren. Therapie und Transplantation sind für den Körper eine grosse Belastung.

«Das ist scharfer Tobak. Normalerweise macht man das bei Patienten über 60 nicht mehr. Aber ich war schon immer ein Ausdauersportler und körperlich fit, so dass es ging», erinnert sich Rupper. Fast allerdings wäre es nicht gegangen: Der St. Galler erlitt eine Blutvergiftung, sein Leben hing am seidenen Faden.

Das Multiple Myelom wird umgangssprachlich als «Knochenmarkkrebs» bezeichnet.

Neue Prioritäten

Doch Rupper kämpfte und die Ärzte bekamen die Komplikationen in den Griff. Heute geht es ihm gut. Regelmässig bekommt er kleine Dosen an Chemotherapie. Sie drängt den Krebs zurück und verhindert, dass erneut ein unkontrollierter Schwall krankhafter Plasmazellen vom Knochenmark in Ruppers Blut gelangt. Denn geheilt ist er nicht, «auch wenn mein Umfeld dass immer denkt, weil ich keine Einschränkungen oder Nebenwirkungen durch die Erhaltungstherapie habe, mit der der Krebs in Schach gehalten wird». Nur müde sei er öfter. «Aber das kommt mit 70 vielleicht so oder so», sagt er. Und die Prioritäten, die hätten sich verschoben. Nicht um Längen, aber doch deutlich genug. «Materielle Überlegungen rücken in den Hintergrund. Ich plane nicht mehr allzu weit. Was ich machen will, das mache ich jetzt. Und ich freue mich über jeden Schritt, bei dem ich meine Enkel begleiten kann.» Manche Myelom-Patienten leben nach der Diagnose noch zwanzig gute Jahre. «Vielleicht ist es vermessen zu hoffen, einer von ihnen zu sein», sagt Rupper. Er tut es trotzdem.


*Florin Rupper leitet die Myelom Kontaktgruppe St. Gallen. Eine Gruppe, in der Betroffene sich austauschen, informieren – und auch mal ablenken können. Rupper informiert sich regelmässig über neue Therapien, lädt Forscher und Ärzte für Referate ein.

Krebstelefon: 0800 11 88 11
Internet: www.krebsliga.ch


Bei einem Multiplen Myelom verändern sich die Plasmazellen im Knochenmark und vermehren sich unkontrolliert. Das Multiple Myelom wird deshalb umgangssprachlich auch als «Knochenmarkkrebs» bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um einen Blutkrebs. Die veränderten Plasmazellen bilden Zellklumpen im Knochenmark. So verhindern sie die Bildung gesunder Blutzellen und zerstören die Knochen. Blutarmut, die sich durch Blässe, Müdigkeit und körperliche Schwäche zeigt, ist darum eine häufige Folge. Auch Schmerzen in den Knochen und bei Fortschreiten der Krankheit Brüche sind ein häufiges Symptom. Auch das Immunsystem wird geschwächt.

Diagnostiziert wird das Multiple Myelom mittels Nachweis von bestimmten Eiweisen in Blut und Urin. Die Analyse einer Probe des Knochenmarks schafft dann endgültige Klarheit. Je nach Zustand des Patienten und Stadium der Krankheit wird unterschiedlich verfahren. Befindet sich der Krebs noch im Anfangsstadium, reicht es oft, ihn einfach zu beobachten. Später helfen Chemo-, Immunoder Medikamentöse Therapien. Mittels einer Stammzelltransplantation können gesunde Blutstammzellen in das Knochenmark übertragen werden, was das Fortschreiten der Krankheit stark bremst. Das Multiple Myelom ist nicht heilbar, kann aber mittels niedrig dosierter Chemotherapie in Schach gehalten werden. Jährlich erkranken in der Schweiz etwa 570 Menschen am Multiplen Myelom. Die meisten von ihnen haben das Rentenalter bereits überschritten.


Nadine A. Brügger ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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