Mit Licht gegen die Winterdepression

Von Christian Franzoso, 4. Dezember 2019

Den grössten Dienst tut man Körper und Geist mit einem Spaziergang am Tageslicht. Liegt das nicht drin, können Tageslichtlampen aushelfen. (pixabay)

Werden die Tage kürzer, nehmen die Anzeichen saisonal bedingter Depressionen zu. Eine Lichttherapielampe kann helfen. Auch bei Schlafstörungen.

Das Licht der Sonne lässt die Natur gedeihen und verleiht uns Menschen Energie und Lebenskraft. Tageslicht taktet unsere innere Uhr und wirkt antidepressiv. Was, wenn das Licht im Winter plötzlich knapp wird? Dr. Susanne Thor erklärt, wie künstliches Licht einen positiven Effekt  auf unser körperliches und psychisches Wohlbefinden hat. Eine Tageslichtslampe nämlich wirkt, wie das Sonnenlicht, über unsere Augen, simuliert das Tageslicht und stabilisiert so den Tag-Nacht-Rhythmus.

Frau Dr. Thor, kann ich eine Lichttherapie zu Hause durchführen, indem ich beispielsweise alle Lichter der Wohnung einschalte? Reicht das?
Nein, das bringt nichts, da die Beleuchtungsstärken von Lampen, die man zu Hause hat, nicht ausreichend sind. Es braucht eine spezielle Lampe mit 10’000 Lux. Die Lichtintensität daheim beträgt bis 200 Lux. Und in den Büros sind es etwa 500 Lux. Auch das reicht nicht. Das ist eigentlich tiefste Dämmerung. In der Evolution hätten wir bei dieser niedrigen Anzahl Lux unseren Schlafplatz gesucht. Aber mittlerweile arbeiten wir den ganzen Tag in dieser Dämmerung.

Was löst das künstliche Licht einer Therapielampe im Körper aus?
Es unterdrückt das Schlafhormon Melatonin. Dieser Effekt hat wiederum eine stimmungsaufhellende Wirkung. Zudem gibt es noch einige andere Wirkungen auf die Regelkreisläufe im Gehirn, die damit zusammenhängen und längerfristig antidepressiv wirken.

Muss man eine Lichttherapie beim Arzt durchführen?
Nein, Lichttherapielampen sind im Handel erhältlich. Der Ablauf ist ganz einfach: Die Lampe einschalten und sich morgens in einem Abstand von etwa 30 Zentimetern vor das Gerät setzen. Eine halbe Stunde lang – das ist alles.

«In der Evolution hätten wir bei der Stärke von künstlichem Licht unseren Schlafplatz gesucht. Aber mittlerweile arbeiten wir den ganzen Tag in dieser Dämmerung.»
Dr. Susanne Thor, Allgemeinmedizinerin

Susanne Thor ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie und Homöopathie an der Klinik Schützen. (z.V.g.)

Schaut man während dieser halben Stunde ständig ins Licht?
Auf keinen Fall. Man sollte den Blick nur vier bis fünf Mal heben und ihn lediglich ganz kurz in die Lampe richten. Das intensiviert die Wirkung. Man kann während der Therapie lesen oder frühstücken, damit keine Langeweile aufkommt.

Ist dieses Licht nicht schädlich für die Augen?
Nein. Die Lampen sind mit einem UV-Filter ausgestattet, der die Augen schützt.

Für wen eignet sich eine Lichttherapie?
Bei Patienten mit einer saisonalen Depression, einer sogenannten Winterdepression, die ja eigentlich bei vielen Menschen schon im Herbst beginnt. Oder bei Erschöpfungszuständen und als unterstützende Behandlung auch bei anderen Formen der Depression. Eine Lichttherapie eignet sich zudem bei Schlafrhythmusstörungen, also bei Ein- und Durchschlafstörungen.

Für wen eignet sich die Therapie nicht?
Bei bekannter Epilepsie oder wenn sich Menschen in einer manischen oder psychotischen Phase befinden, sollte die Lichttherapie nicht angewendet werden. Bei bestimmten Hauterkrankungen leiden Betroffene auch unter Lichtempfindlichkeit. Sie dürfen sich nicht zu viel Sonnenstrahlung exponieren. Auch bei Netzhauterkrankungen und verschiedenen anderen Augenerkrankungen eignet sich eine Lichttherapie nicht. Und es gibt zudem Medikamente, die die Lichtsensibilität erhöhen. Die Dosierung ist jedoch ausschlaggebend, normale Mengen sind unbedenklich. Viele Menschen meinen auch, dass sie kein Johanniskraut nehmen dürfen, wenn sie zeitgleich eine Lichttherapie machen. Wenn man aber Johanniskraut in einer niedrigen – also in einer normalen – Dosis einnimmt, ist das nicht gefährlich.

Johanniskraut ist doch ein pflanzliches Medikament?
Auch pflanzliche Medikamente können Nebenwirkungen hervorrufen. Im Falle einer zu hohen Dosierung kann der Lichteinfluss Hautreaktionen auslösen. Es können beispielsweise Blasen entstehen. Es sind jedoch ganz wenige Medikamente, die solche Nebenwirkungen verursachen. In normaler Dosierung sind die meisten Medikamente völlig harmlos im Zusammenhang mit der Lichttherapie. Der Hausarzt kann dazu Auskunft geben.

«Lichttherapie ist gut – doch ein Morgenspaziergang ist immer besser.»
Dr. Susanne Thor, Allgemeinmedizinerin

Kann die Lichttherapie einen Aufenthalt im Freien ersetzen?
Lichttherapie ist gut – doch ein Morgenspaziergang ist immer besser, weil noch andere Wahrnehmungs-Faktoren eine wichtige Rolle spielen wie die Luft, die Natur oder das Rascheln
der Blätter, falls es nicht tiefster Winter ist. Aber vielleicht hört man ja die Vögel zwitschern? Emotionen, die man auf einem Spaziergang erlebt, haben generell einen positiven Einfluss
auf unser Wohlbefinden. Zudem stabilisiert eine halbe Stunde Tageslicht den Schlaf-Wach-Rhythmus und hat gleichzeitig eine antidepressive Wirkung.

Auch wenns draussen grau und bewölkt ist?
Ja, denn das Tageslicht weist an einem bewölkten Tag immer noch etwa 20’000 Lux auf. Ist es ein klarer, sonniger Tag, sogar bis zu 100’000 Lux. Auch an einem bewölkten Tag lohnt es sich also, eine halbe Stunde im Freien zu spazieren. Wenn es hell ist, würde ich immer einen Spaziergang empfehlen. Es gibt jedoch Patienten, deren körperliche oder psychische Verfassung einen Spaziergang im Freien nicht zulässt. In diesen Fällen empfiehlt sich eine Lichttherapie.

Wie lange kann man eine Lichttherapie machen?
Über Wochen oder Monate hinweg. Wir haben viele Patienten, die nach dem Klinik-Austritt die Therapie zu Hause weiterführen.


Lichttherapielampen sind im Handel und online erhältlich. Die Therapie kann eigenständig zu Hause durchgeführt werden, es braucht kein ärztliches Rezept dafür. Wichtig ist, dass die
Beleuchtungsstärke der Lampe mindestens 10’000 Lux beträgt und dass sie einen UV-Filter hat. Die Leuchtfläche der Lampe muss ausreichend gross sein und eine geringe Flackerfrequenz aufweisen.

Vergleich der Lichtintensität:

Tageslicht, klarer Himmel:
50’000 bis 100’000 Lux
Tageslicht, bewölkter Himmel:
10’000 bis 20’000 Lux
Lichttherapielampe:
7’000 bis 10’000 Lux
Bürobeleuchtung:
300 bis 500 Lux
Wohnraumbeleuchtung:
50 bis 200 Lux


Der Autor dieses Artikels, Christian Franzoso, ist Redaktor bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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