Nichts als heisse Luft?

Von Danica Gröhlich, 27. November 2019

Alle tun es, doch keiner spricht darüber: Pupsen ist normal. (iStock)

Pünktlich zur Adventszeit machen sich Völlegefühl und Blähungen breit. Ein Magen-Darm-Spezialist erklärt, was gegen Flatulenz hilft.

Alle Jahre wieder: Käsefondue, Lebkuchen und Glühwein liegen schwer im Magen. Doch nicht nur das. Mitunter kann die Völlerei zur kalten Jahreszeit auch zu unangenehmen Gasen führen. Was den Bauch zum Blähen bringt, welche Pupser bis zum Himmel stinken und, wie wir ohne Krampf Dampf ablassen können, weiss Professor Dr. Stephan Vavricka. Der Facharzt für Gastroenterologie befasst sich seit 15 Jahren mit Darmerkrankungen und den damit verbundenen «menschlichen Abgasen». Fachlich korrekt werden die «Winde», die den Enddarm über den Schliessmuskel verlassen, als Flatulenz bezeichnet. Bei schmerzhaften Luftansammlungen im Bauch sprechen Experten von Meteorismus.

Explosive Gasmischung

Beim Thema Blähungen drucksen die meisten von uns herum. Denn Pupsen gehört nicht gerade zum guten Ton und darüber sprechen mag erst recht keiner gerne. Wir sollten aber bei dieser delikaten Angelegenheit kein Blatt vor den Mund nehmen. «In unserer Praxis bekomme ich von Patientinnen und Patienten die seltsamsten Umschreibungen zu hören – etwa Lüftchen oder Tönchen», erklärt der Magen-Darm-Spezialist Stephan Vavricka. Andere wiederum nennen das Problem gleich beim Namen und lüften unverblümt, dass sie häufig furzen müssten.

Prof. Dr. Stephan Vavricka,
Facharzt für Innere Medizin und
Gastroenterologie, Zürich. (z.V.g.)

Um den Druck zu nehmen, eines gleich vorweg: Jeder Mensch hat Blähungen, manchmal mehr und manchmal weniger. Pupsen ist also völlig normal. Allerdings wird die Flatulenz nicht von allen gleich stark oder als störend wahrgenommen. Einige Menschen würden kleinste Gasmengen bereits als sehr unangenehm empfinden. Doch wie kommt die Luft in den Bauch? Im Dickdarm siedeln Milliarden von Bakterien, die bis zu zwei Kilogramm auf die Waage bringen. Diese helfen, die Nahrung zu verdauen und zu vergären. «Das können Sie sich wie einen Bioreaktor vorstellen», beschreibt Vavricka den Prozess. Bei dieser Verstoffwechselung entstehen auch verschiedene Gase. Sie bestehen meist aus Stickstoff. Dazu kommen Kohlenstoffdioxid, Sauerstoff, Methan und Wasserstoff. Der Anteil der entstehenden Luftansammlungen kann sich bei jedem Menschen unterscheiden. Während die meisten Gase keinen Geruch ausströmen, sorgen so genannte Faulgase wie Schwefelwasserstoff, der nach faulen Eiern riecht, für ein unangenehmes Düftchen.

Es kann aber auch zu einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarmes kommen. Hier arbeitet der «Bioreaktor» bereits im Dünndarm auf Hochtouren. Oft nach der Einnahme von Antibiotika. Betroffene berichten, dass sie sich innert Stunden plötzlich wie im 7. Monat schwanger fühlten. Oder, als hätten sie einen Fussball verschluckt. Hier ist wegen der Schmerzen auf jeden Fall eine ärztliche Abklärung angezeigt. Diese bakterielle Fehlbesiedelung ist zwar altersunabhängig, trifft aber häufiger Frauen. Als Ursache werden hormonelle Unterschiede vermutet.

Was zum Himmel stinkt

Doch welche Lebensmittel fördern Flatulenz und was ist dran am Spruch «Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen»? Der Facharzt bestätigt, dass bestimmte Zuckerzusammensetzungen oder auch Kunstzucker, so genannte FODMAP (siehe Infobox), häufig Blähungen machen und zu einem Reizdarm führen. Auch Erkrankungen wie eine Zöliakie, die Unverträglichkeit von Getreideeiweiss Gluten, oder eine Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit) kann diese Symptome hervorrufen. Ein echter Anheizer für Fürze seien komplexe Kohlenhydrate in Getreide oder Hülsenfrüchte wie Bohnen und Kichererbsen. Auch Zwiebeln, Kohl und Sauerkraut oder eine Ernährung reich an Ballaststoffen kann uns zum Blähen bringen. Ebenso «Blöterliwasser», also Getränke mit Kohlensäure. Der stärkste Pups-Auslöser kann übrigens die Topinambur-Knolle sein. Sie enthält im Gegensatz zur Kartoffel statt Stärke Inulin. Für dessen Zersetzung besitzen wir nicht das richtige Enzym, sodass besonders üble Darmwinde aufkommen. Und welche Fürze stinken am meisten? Der bestechendste Geruch entsteht angeblich bei der Verarbeitung von Aminosäuren, die sich in Nahrungsmitteln wie Bohnen, Käse und Fleisch finden.

Blähungen verkneifen

Was hilft also, einem Blähbauch vorzubeugen? In erster Linie auf die erwähnten Nahrungsmittel verzichten, empfiehlt der Experte. Wer zudem noch gut kaut, hat bereits halb verdaut. Sich also trotz der Hektik des Alltages beim Essen Zeit lassen und nichts hastig hinunterschlucken. Und noch einen Tipp hat der Arzt parat: «Um nicht zu viel Luft zu schlucken, sollten Sie während des Essens nicht sprechen.» Und wann will die Luft eher nach oben ausweichen? Vavricka erklärt: «Beim Rülpsen haben wir es häufig mit verschluckter Luft zu tun etwa nach kohlesäurehaltigen Getränken. Aber auch zu viele Bakterien im Dünndarm können dazu führen. Kommt die Luft dagegen hinten heraus, deutet das eher auf eine Fehlbesiedelung des Dickdarms hin.»

Ständiges Verklemmen sei übrigens nicht schädlich, beruhigt der Darm-Spezialist. Denn: «Früher oder später kommt die Luft eh raus …» Trotzdem sollten Sie erst gar nicht versuchen, den Pups zurückzuhalten. Vavricka rät: «Verlassen Sie einfach diskret den Raum.» Ist das nicht möglich, so verschaffen Sie sich Platz, damit der Übeltäter wenigstens geräuschlos entweichen kann. Der Ton entsteht durch Vibration beim Analkanal.

Akut gegen Flatulenz helfen zur Entspannung eine Wärmflasche auf dem Bauch, aber auch Bewegung, denn dadurch wird die Luft im Darm weitertransportiert. Gegen zu viele und sehr stinkende Blähungen sollen Ingwer oder auch Kaffee mit seinen Bitterstoffen helfen. Ebenso werden deftige Speisen oft mit Kümmel gewürzt. Dieser regt die Verdauung an und hat krampflösende Eigenschaften. Anis sei ebenso ein gutes Hausmittel. «Wer sie mag, kann sich in der Adventszeit also ganz ohne schlechtes Gewissen über Anis-Chräbeli hermachen», verrät Stephan Vavricka mit einem Schmunzeln. So bleibt auch in der hektischen Vorweihnachtszeit die Luft rein.


Mit der FODMAP-Diät gegen Gase

FODMAP ist die englische Abkürzung für fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole. Das sind Zuckerverbindungen wie Fruktose (Fruchtzucker), Laktose (Milchzucker) und Zuckeralkohole oder -Austauschstoffe wie Sorbit. Diese kommen in Nahrungsmitteln wie Äpfeln, Vollkornbrot oder auch Hülsenfrüchten bereits natürlich vor oder werden bei der Verarbeitung zugesetzt. Bakterien vergären die FODMAP im Dickdarm. Für viele ist das kein Problem. Bei einigen kann das jedoch zu Blähungen, Völlegefühl sowie Krämpfen führen oder gar zu Durchfall, aber auch Verstopfung. Krankheiten wie Darmkrebs müssen ausgeschlossen sein. Um Mängel zu vermeiden werden bei der Ernährungsberatung mit dem FODMAP-Konzept kontrolliert die Auslöser vom Speiseplan gestrichen und dann getestet, welche Lebensmittel in welchen Mengen verträglich sind.


Die Autorin dieses Artikels, Danica Gröhlich, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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