Die Entmenschlichung der Welt

Von Nadine A. Brügger, 6. November 2019

Werden bald Roboter, statt Menschen, unsere Pflege übernehmen? (iStock)

Wir werden immer älter. Darum geht uns irgendwann das Pflegepersonal aus. Eine Alternative könnten Roboter sein. Aber wollen wir das auch?

Küchenmaschinen, Akkuschrauber, Waschmaschinen, Staubsauger oder Rasenmäher – ohne technische Unterstützung könnte eine Gesellschaft, wie die unsere, ihren normalen Alltag nicht mehr aufrecht erhalten. Denn während die Jahrzehnte verstrichen, entwickelten Ingenieurinnen und Ingenieure immer kompliziertere Maschinen, um unser Leben einfacher zu machen. Die Roboter, wenn man so will, sind längst unter uns. Und wir? Wir werden immer älter – und damit irgendwann auch pflegebedürftig. Leben heute 1,5 Millionen RentnerInnen in der Schweiz, werden es laut Hochrechnungen des Bundesamts für Statistik im Jahr 2045 2,7 Millionen sein. «Damit wird die Zahl der pflegebedürftigen Personen zunehmen», notiert das BFS.

Packen, wenn Pflegepersonal Mangelware wird, die Roboter auch hier mit an? Waschen sie unsere Patienten? Legen sie Dementen die Kleider zurecht? Werden sie den Einsamen zuhören? Und falls ja, was wird aus einem Menschen – ohne Menschen?

Die Roboter sind schon da

Pasqualina Perrig-Chiello ist Präsidentin
der Senioren-Uni Bern. (z.V.g.)

«Besonders in der noch weniger Technik affinen Generation gibt es diffuse Ängste. Viele fürchten sich davor, die Maschine könnte die Menschen ersetzen», sagt Pasqualina Perrig-Chiello. «Und es sind ja Maschinen, die Menschen ersetzen. Das ist bedrohlich: Die Entmenschlichung der Welt.»

Hunderte verschiedener Roboter befinden sich gerade in der Entwicklung. «Der Grund, warum diese Welle uns noch nicht überrollt hat: Roboter sind aktuell noch viel zu teuer», so Perrig-Chiello. Sie ist emeritierte Professorin der Universität Bern und Präsidentin der Senioren-Uni. Als Entwicklungspsychologin forscht sie zum mittleren und höheren Lebensalter. Ein grosses Thema dieses Lebensabschnittes: Die Care-Arbeit. «Das Englische ‹Care› bedeutet ja beides, jemanden körperlich zu pflegen, sich aber darüber hinaus auch um diese Person zu kümmern.» Genauso, wie bei der Arbeit selber, unterscheiden wir auch bei der Maschine. Da gibt es jene, die im Alltag mit anpacken. Wie der Waschvollautomat. «In Tat und Wahrheit wissen wir, dass Roboter längst Teil unseres Lebens sind. Vom Operationssaal bis hin zu Fabriken oder unserem Alltag», so die Psychologin. In der Pflege gibt es etwa Heberoboter oder Sturzdetektoren. «Diese Entwicklung ist nicht gut oder schlecht, sie ist hilfreich. Das sehen alle Beteiligten.»

«In Tat und Wahrheit wissen wir, dass Roboter längst Teil unseres Lebens sind.»
Pasqualina Perrig-Chiello

Angst machen die sozialen Roboter. Jene, die gebaut wurden, um uns zu gefallen. Programmiert, um gemocht zu werden. «Doch egal, wie lieb und toll die Maschine ist, sie ist programmiert. Der Mensch aber ist auf Liebe und Zuwendung aus. Er hat das Bedürfnis, geliebt zu werden. Nicht, weil sein Gegenüber darauf programmiert ist, sondern, weil dort ein Mensch mit einem Bewusstsein ist, dass sich dazu entscheidet.»

Die Kuschel-Roboter

Obwohl sie Ängste auslösen – die sozialen Roboter sind alles andere als furchteinflössend. Da ist zum Beispiel Paro. Warm, weiss, flauschig und mit grossen schwarzen Kulleraugen. Paro sieht aus wie eine besonders zutrauliche Baby-Robbe. Er ist da, um gestreichelt und geliebt zu werden. «Pflegekräfte haben da viele Vorbehalte. Sie haben Angst, ihren Patienten etwas vorzugaukeln. So zu tun, als würden sie den Patienten ein herziges Tierchen geben, dabei ist es ein Roboter. Unterstützung in der Pflege nehmen sie dankend an, aber für ihre Patienten
da sein, möchten sie wenn möglich selber.» Nicht nur die pflegebedürftigen Menschen, auch ihre Pflegenden machen sich also sorgenvolle Gedanken. Doch Studien zeigen: Paro macht die Patienten zufrieden und ausgeglichen. Er kommt besonders bei dementen Patienten gut an. Dort übernimmt er die Rolle, die einst Fido oder Mauzi inne hatten.

«Einsamkeit ist im höheren Alter ein grosses Thema. Tiere können die Lücken füllen, das steht ausser Frage. Da entstehen oft sehr enge Bindungen», sagt Perrig-Chiello. Wenn jemand sich einen Hund zulegt, um gegen die Einsamkeit anzukämpfen oder mehr Bewegung zu bekommen, hinterfragt das niemand. «Die Frage ist: Ist es wichtig, ob der Hund lebt?», fragt Perrig-Chiello. Oder könnte ein Roboterhund den Platz des echten einnehmen? Wäre es nicht besser, Opas Dackel könnte nicht nur Bellen und Wedeln, sondern auch Alarm geben, wenn im Kühlschrank Essen fehlt, Medikamente vergessen gingen, die Kleidung nicht zu den Temperaturen passt oder Opa gestürzt ist?

«Selbst wenn Sie im Heim sind, dürfen Sie ‹nein› zu Robotern sagen.»
Pasqualina Perrig-Chiello

Humanoide Roboter

Doch soziale Roboter kommen nicht nur als Tiere daher. «Es gibt auch humanoide Roboter. Sie sind meist nach dem Kindchenschema konstruiert, also sehr niedlich», erklärt die Spezialistin. «Sie haben ein Gesicht wie ein Mensch und können auch auf Leute zugehen. Diese Roboter finde ich weit bedenklicher.» Denn mehr noch als die Tierchen, lassen sie den Menschen vergessen, dass er hier nicht seinesgleichen vor sich hat. «Humanoide Roboter interagieren mit den Menschen, rufen Emotionen hervor, singen Lieder mit den Bewohnern eines Altersheims oder stehen bei Gymnastik-Stunden als Instruktoren vorne.» Diese Roboter, die wie echte Menschen wirken, «machen Angst». Allerdings seien sie aktuell noch viel zu teuer, um sie im Alltag einzusetzen.

Doch es gibt auch soziale Roboter, die genau dafür gebaut wurden, die Beziehung zu Mitmenschen aufrecht zu halten. «Sogenannte Tele-Roboter bewegen sich in einem geschlossenen Raum frei. Sie sind meist über ein Tablet oder eine Applikation zu steuern. Sie könnten die Menschen zum Beispiel konkret dazu auffordern, einen Spaziergang zu machen oder jemanden anzurufen. Das wäre sehr sinnvoll», so Perrig-Chiello.

Menschen, die sich Sorgen machen, sagt die Professorin: «Selbst wenn Sie im Heim sind, dürfen sie ‹nein› zu Robotern sagen. Vor allem die soziale Care-Arbeit durch Roboter muss man verweigern können.» Zudem rät die Spezialistin Seniorinnen und Senioren, wachsam zu sein und sich zu involvieren. «Seien Sie wachsam und aufmerksam. Diese Apparate werden von Ingenieuren entwickelt – häufig immer noch ohne Beteiligung von Senioren. Dabei muss man die Anwender im Forschungsprozess integrieren. Wenn also über solche Forschung gesprochen wird, melden Sie Ihre Meinung an. Senioren werden zu wenig befragt.»

 

Die Autorin dieses Artikels, Nadine A. Brügger, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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