Mehr Lust statt Frust

Von Danica Gröhlich, 31. Oktober 2019

Die Sexologin rät, Frauen sollten ihre Bedürfnisse selbst in die Hand nehmen. (iStock)

Egal in welchem Alter: Jede Frau hat ihre Bedürfnisse. Wie sie diese befriedigen kann und zum Höhepunkt kommt, weiss die Sexual- und Psychotherapeutin Dania Schiftan.

Frau Schiftan, wie verändert sich die Sexualität der Frauen mit zunehmendem Alter?
Dania Schiftan: Da sehe ich zwei verschiedene Typen. Einerseits Frauen, die mit zunehmendem Alter viel freier werden und ihre Bedürfnisse ausleben. Weil sie für sich entdecken: «He, da ist noch viel mehr zu holen!» Ihnen ist egal, ob zum Beispiel die Brüste hängen. Sie werden im Alter viel entspannter. Dann gibt es aber auch Frauen, die sich mit den Jahren mehr sorgen. Sie halten sich nicht mehr für attraktiv genug, schämen sich für ihre Falten und ziehen sich immer mehr zurück.

Was beschäftigt junge Frauen, was reifere?
Zu mir in die Praxis kommen alle, von 18 bis 80 Jahren. Hauptthema ist die Lust und Freude am Sex. Etwa, wenn sie weniger Freude daran hat als ihr Partner, der Geschlechtsverkehr nicht sehr erfüllend oder gar mit Schmerzen verbunden ist. Vielleicht klappt es alleine sehr gut, aber in Zweisamkeit kommt es zu keinem Orgasmus.

Dania Schiftan, selbständige Sexualund Psychotherapeutin in Zürich. (z.V.g.)

Der Körper einer Frau verändert sich auch über die Jahre.
Natürlich macht der Körper einer Frau im Leben viele Veränderungen durch. Nach Geburten oder bei der Menopause kann die Scheide trockener werden. Hier reagieren einige Betroffene schnell und gehen zum Gynäkologen oder besorgen sich ein Gleitmittel. Andere Frauen dagegen nehmen das nicht so rasch in Angriff. Sie sehen Sex als etwas Negatives an, da sie dabei vielleicht sogar Schmerzen haben. Allerdings gibt es keinen Grund, warum Frauen im Alter weniger Bedürfnisse hätten. Sie könnten eigentlich mehr Lust empfinden, da sie weniger gefallen wollen. Deshalb wünsche ich allen Frauen, dass sie sich mehr auf sich konzentrieren können. Je mehr sie in ihrer eigenen Wahrnehmung sind, desto mehr profitieren sie und der Sex wird dadurch auch lustvoller.

Also wissen Frauen nicht, welche Bedürfnisse sie haben?
Ganz viele Frauen waren in einer Ehe oder in einer anderen Struktur, in der es immer gleich ablief. Sie haben nie gelernt herauszufinden, was sie gern haben. Die Arbeit an der eigenen Lust geht immer über einen selbst. Je mehr ich mein Geschlecht kenne, desto einfacher ist es, mich dem Partner mitzuteilen. Die Annahme, «Er muss doch herausfinden, was ich will!», ist Quatsch.

Zudem ist Sexualität immer noch mit Scham behaftet …
Ja, leider! Der Schritt zu mir in die Praxis ist relativ gross. Frauen können ihre Probleme über Jahre hinnehmen, ohne sich Hilfe zu suchen. Viele reduzieren sich und ihre Bedürfnisse herunter. Eigentlich wollen sie Freude an ihrer Sexualität haben, dann folgt meist das grosse «Aber». Über Sexualität sind immer noch zu viele gesellschaftliche Rollenbilder vorhanden.

Deshalb haben Sie vor einem Jahr den Ratgeber «Coming Soon – Orgasmus ist Übungssache» veröffentlicht. Wie war die Resonanz?
Ich habe nur positive Reaktionen bekommen. Das Buch verkauft sich immer noch sehr gut. Es war sogar auf der «Spiegel»-Bestsellerliste. Mein Ratgeber hat offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen. Es zeigt mir, dass Frauen ein konkretes Bedürfnis haben, an ihrer Sexualität zu arbeiten. Natürlich gibt es schon unzählige Ratgeber über den weiblichen Orgasmus. Doch dort heisst es immer nur, dass Frau den Fokus anders setzen soll, loslassen müsse und, dass es bloss an der fehlenden Kommunikation liege. Das hat sicher alles seine Berechtigung. Nur finde ich es schöner, praktische Übungen zu vermitteln. Die Leserin bekommt ein Bild, begreift die Zusammenhänge und kann es aktiv umsetzen. Das setzt aber auch viel Eigenleistung und eine hohe Motivation voraus. Alleine ist das schwieriger als in einer Therapie.

Wie die Nachfrage nach Ihren Online-Beratungen zeigt …
Neben Beratungen in meiner Praxis in Zürich biete ich diese auch online, übers Telefon oder per Sprachnachricht an. Denn für viele ist es zeitlich schwierig, regelmässig zu mir zu kommen oder sie wohnen zu weit weg. Auf diesem Weg können sie die Beratung dennoch in Anspruch nehmen. Anwälte etwa ziehen sich dann in ein Sitzungszimmer zurück und nehmen sich eine Stunde Zeit. Sie erhalten so Zugang zu einer Behandlung, die sie sonst vielleicht nie machen würden. Zudem stellt eine Beratung per Telefon eine kleinere Hürde dar und hat auch den Vorteil, dass die Person ihre intimen Probleme nicht direkt mir ins Gesicht schildern muss. Diese Methode ist jedoch noch nicht von der Krankenkasse anerkannt.

Laut Studien kann nur jede dritte Frau beim Sex zum Orgasmus kommen. Was sind die Gründe?
Die allermeisten Frauen lernen nur ihr äusseres Geschlecht kennen. Sie haben nie selber ihre Vagina erkundet. Diese ist für sie wie eine Blackbox. Trotzdem erwarten sie, dass es dort beim Sex schöne Gefühle gibt. Dabei sollte die Vagina regelmässig stimuliert werden. Wichtig ist jedoch, das Geschlecht ins Gehirn zu integrieren. Das ist das ganze Geheimnis.

Dann ist die Orgasmusfähigkeit also eine reine Kopfsache?
Wenn Sie mit Kopfsache viel Übung meinen, dann ja. Wenn es nur um die Einstellung geht, so muss ich verneinen. Zum Höhepunkt zu kommen ist vergleichbar mit dem Lernen eines Tanzes oder einer Sprache: Je häufiger wir es wiederholen, desto mehr integrieren wir es und desto mehr Freude bereitet es.

Und wenn in einer langen Beziehung die Lust doch flöten geht oder die Intimität wegen der Kinder zu kurz kommt?
Je mehr du von den Berührungen profitierst und je erregender es ist, desto weniger lässt du es dir nehmen. Die Lust verlieren wir nur, wenn der Aufwand dafür zu gross ist. Bauen Sie die Lust für sich aus, anstatt ihm vorzuwerfen, was er falsch macht. Viele kennen das: Ich bringe zuerst die Kinder ins Bett, mache den Haushalt, dann noch die Steuererklärung. Wenn noch Zeit ist, dann Sex. Es kommt also sicher immer etwas dazwischen. Sex nach Terminkalender kann da helfen. Es muss nicht immer ein mega tolles Erlebnis sein. Nehmen Sie es einfach selbst in die Hand!


Bett-Lektüre

Wenn wir eine Sache beherrschen wollen, üben wir. Dieser Grundsatz gilt in allen Lebensbereichen – nur beim Sex denken wir, dass alles von selbst klappen muss.

Wie falsch diese Annahme ist, erklärt Dania Schiftan in ihrem Buch «Coming Soon – Orgasmus ist Übungssache. Für mehr Spass beim Sex» (Piper-Verlag, 2018).


Die Autorin dieses Artikels, Danica Gröhlich, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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