«Ich habe sehr lange verdrängt, dass ich eine Hörhilfe brauche!»

Von Christian Franzoso, 9. Oktober 2019

Die Lebensqualität von Pepe Lienhard hat sich markant verbessert seit er ein Hörgerät trägt. (gesundheitheute)

Pepe Lienhard, 73, wusste lange nicht, dass er an Hörverlust leidet. Seit der Bandleader und Musiker ein Hörgerät trägt, ist seine Lebensqualität viel besser.

Pepe Lienhard, seit acht Jahren tragen Sie eine Hörhilfe. Hören Sie nun wieder wie früher?
Pepe Lienhard: Nicht so wie mit 20, aber ich kann wieder in laute Lokale gehen und verstehe, was andere sagen. Und wenn ich wollte, könnte ich auch wieder in die Disco, aber das will ich nicht. Der Sound, der dort gespielt wird, gefällt mir nicht.

War der Hörverlust in Ihrem Alltag nie ein Problem?
Ich habe es verdrängt. Wenn ich in grossen Lokalen mit vielen Gästen war, die alle durcheinander sprachen, habe ich nichts mehr verstanden. Absolut nichts. Das war schrecklich. Manchmal gab ich sogar auf Fragen falsche Antworten. Solche Lokale habe ich mit der Zeit einfach gemieden. Das ist ein natürlicher Reflex, den wohl vor allem Männer haben. Man geht dem Problem aus dem Weg und steht nicht dazu.

«Manchmal gab ich sogar auf Fragen falsche Antworten.»
Pepe Lienhard

Sie sind seit Jahrzehnten ein erfolgreicher Musiker und Bandleader. Über 30 Jahre lang begleiteten Sie mit ihrem Orchester Udo Jürgens auf seinen Tourneen. War der Hörverlust beruflich nicht ein massives Problem für Sie?
Nein, denn auf der Bühne ist es so laut, dass es unmöglich ist, nichts zu hören. Deshalb liess ich nach meinen Tourneen immer einen Hörtest beim Ohrenarzt machen. Er stellte eine alters- und berufsbedingte Absenkung der oberen Töne fest. Es hiess aber, dass mein Gehör für meinen Beruf noch gut sei. Damit kann ich leben, sagte ich mir. Es behindert mich ja nicht.

Gab es nicht einen Moment, im dem Ihnen bewusst wurde, dass Sie ein Hörproblem haben?
Nein, der Prozess ist schleichend. Es ist ja nicht so, dass man von heute auf morgen plötzlich nichts mehr hört.

Sie haben sich also der Situation angepasst.
Nicht nur ich, auch mein Umfeld. Ich bin bei jedem Soundcheck im Saal, um den Klang der Instrumente zu hören. In den grossen Hallen, in denen die Udo-Jürgens-Konzerte stattfanden, stand das Mischpult etwa 50 Meter von der Bühne entfernt. Den Sound-Ingenieuren sagte ich immer, der Sound sei zu dumpf. Sie müssten ihn viel heller machen. Mehr raufschrauben! Mehr! Und noch mehr! …

Ihr Problem beschränkte sich aber nur auf die Höhen und den Klang?
Ja, ich hörte den Charakter der Instrumente nicht mehr richtig, weil die Höhen abgeschnitten waren. Es ist wichtig, dass man das ganze Spektrum hört. Also drehten die Ingenieure die Töne hoch, bis ich zufrieden war. Später haben sie mir gestanden, dass sie die Töne wieder zurückdrehten, sobald ich den Saal verlassen hatte. Niemand getraute sich, mir zu sagen, dass ich nicht mehr gut höre.

Es wurde nicht darüber geredet?
Nein, niemand wollte auf Konfrontation gehen – zudem waren die Sound-Ingenieure meine Angestellten. Mit der Hörhilfe merkte ich jedoch schnell, dass der Sound, wie ihn die Ingenieure eingestellt hatten, toll klingt.

«Es ist, als ob die Sonne neu aufgegangen wäre.»
Pepe Lienhard

Zum Hörgerät kamen Sie schliesslich wie die Jungfrau zum Kind.
Eine Agentur hatte mich angefragt, ob ich Interesse hätte, Werbung für ein Hörmittel-Geschäft zu machen. Nach dem Motto: Pepe Lienhard macht gute Musik, und wer sie nicht richtig hört, braucht ein Hörgerät. Wieso nicht, dachte ich. Aber ich betonte, dass auf gar keinen Fall der Eindruck entstehen dürfe, dass ich ein Hörgerät brauche. Das war mir ganz wichtig. Deshalb habe ich den Pressetext auch sehr genau durchgelesen. Denn für mich war klar: Ich brauch’ doch kein Hörgerät! Wieder ein Reflex, wie ihn wohl viele Männer haben.

Und wann wurde Ihnen bewusst, dass sie doch eine Hörhilfe brauchen?
Ich ging an eine Veranstaltung der Hörmittel-Firma, an der ich das Hörgerät trug. Da realisierte ich plötzlich, dass ich viel besser höre. Ich musste mich weniger konzentrieren, um zu verstehen, was mein Gegenüber sagt. Die Gespräche waren wieder klar und verständlich. Seither trage ich ein Hörgerät.

Das heisst, Ihre Lebensqualität ist nun besser?
Viel besser! Es ist, als ob die die Sonne neu aufgegangen wäre. Viele tun sich mit einer Hörhilfe schwer, aber ich kann sie nur empfehlen. Die Geräte sind heute so klein, dass man sie nicht sieht, wenn man sie trägt. Mit einem Hörgerät kann man ganz normal weiterleben. Und ich kann damit sogar telefonieren.

Das müssen Sie jetzt erklären.
Ich kann meine Hörhilfe via Bluetooth mit meinem Handy verbinden und telefonieren. Das ist ideal fürs Autofahren, weil man die Hände frei hat. Und Musik hören kann ich damit auch …


Tipps zu Hörhilfen

Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Hörgerät?
Paul Kahnert: In der Regel, wenn man einen Hörverlust von 20% hat. Man sollte nicht zu lange warten, damit keine schnelle Entwöhnung stattfinden kann.

Es gibt unzählige Geräte. Worauf muss man achten?
Ganz entscheidend ist der Grad des Hörverlusts. Danach richtet sich die Leistung und die Grösse des Geräts.

Hörhilfen können sehr teuer sein.
In der Frühphase eignet sich oft ein kostengünstiges Gerät. Wenn der Hörverlust grösser wird, kann man eine teurere Variante wählen.

Was ist der Unterschied zwischen einer Hörhilfe, die man im Ohr trägt, und einer, die man dahinter trägt?
Das ist oft eine kosmetische Frage. Die Hörhilfen, die man im Ohr trägt, sind meistens für leichtere Hörverluste. Hinterohr-Geräte eignen sich bei einem höheren Hörverlust oder wenn die Platzverhältnisse zu eng sind.

Es gibt sogenannte intelligente Hörgeräte. Was können sie?
Sie erkennen, in welcher Situation sich der Träger des Geräts befindet. Aufgrund einer Analyse wird erkannt, ob man sich in einer ruhigen oder lärmigen Umgebung befindet, ob man auf der Strasse geht oder zu Hause Musik hört. Das Gerät und die Lautstärke passen sich ihrer Umgebung an.


Christian Franzoso ist Redaktor bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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