Nach Brustkrebs: Ich will nur leben

Von Danica Gröhlich, 2. Oktober 2019

Während der Chemotherapie 2012 fielen Dolma die Haare aus. Heute geniesst sie das Leben in vollen Zügen. (rechts) z.V.g.

Mammakarzinome sind die häufigste Krebsart bei Frauen.
Eine Betroffene erzählt uns ihre persönliche Geschichte.

«Ich ging ein Jahr zuvor nicht zur Kontrolle bei der Frauenärztin. Unter der Dusche entdeckte ich dann in der rechten Brust den Knoten.» Das war am 12. Oktober 2011, als sich das Leben der damals 33-jährigen Dolma schlagartig änderte. Sie redete sich zwar zuerst noch ein, dass es sicher nichts Schlimmes sei, die Brustdrüse oder so. Es habe ja auch nicht wehgetan.  och der Knoten wuchs weiter. Rückblickend stellt sie fest, dass sie damals sehr müde war und häufiger die Ruhe in den Bergen suchte. Nach einem Ultraschall schickte die Frauenärztin sie sofort in eine Klinik. Es folgten eine Röntgenuntersuchung der Brust, die Mammografie, und eine Gewebeprobe. Vor dieser Biopsie fürchtete sie sich am meisten – nicht etwa wegen des Resultates, «ich habe Schiss vor Nadeln». Dann das nervenaufreibende Warten auf das Ergebnis, das endgültig Gewissheit lieferte.

Distanz nach der Diagnose

Es war Freitagabend. Dolma wollte später mit einer Freundin an ein Filmfestival und war deshalb bei ihr, als das Natel klingelte. Ihre Ärztin war dran und wollte ihr die Diagnose am Montag persönlich mitteilen. Da war ihr bereits klar, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Sie wollte es jetzt hören. Ihre Freundin sass am Tisch und weinte bereits. «Es ist bösartig. Sie müssen operiert werden», bestätigte ihr die Ärztin am Telefon.

Dolma hatte Brustkrebs. Doch auch heute noch spricht sie nur von «Krankheit», das Wort «Krebs» nimmt sie nicht in den Mund. Sie habe es in diesem Moment gar nicht realisiert. Nach dieser Schock-Diagnose habe sie zuerst ihre Freundin getröstet. Sie selbst konnte noch nicht weinen. Erst während des Anrufs bei ihrem Bruder. «Er war dann der Starke und ich konnte mich endlich fallen lassen.» Die Ärztin gab ihr eine Woche, um bei der Arbeit alles zu regeln. Den engsten Freunden schreibt sie ein Mail oder SMS. Sie will es ihnen nicht direkt ins Gesicht sagen, ihnen Zeit geben. Doch einige fühlen sich vor den Kopf gestossen. «Selbst meiner Mutter teilte ich am Telefon mit, dass ich krank bin. Ich brauchte Distanz.»

Pizza-Party im Spital

Am 8. November 2011 liegt Dolma in der Frauenklinik Triemli in Zürich. «Sie haben mich dort nicht als Patientin behandelt, sondern als Menschen », erinnert sie sich dankbar. Neben ihr im Zimmer eine 92-Jährige, die sich beide Brüste abnehmen lassen musste. Trotz allem war ihre Zimmernachbarin positiv eingestellt und habe ihr viel Kraft gegeben. Am Spitalbett empfängt Dolma Freunde und Verwandte, lacht mit ihnen, trinkt Prosecco und lässt sich Pizza ins Krankenhaus liefern. Am Tag der Operation wird ihr der Tumor entfernt. Er hat eine Grösse von 4,3 Zentimetern. Zudem werden Lymphknoten herausgenommen, einige sind bereits befallen. Seither trägt sie rechts bis unter die Achsel eine lange Narbe. Fast schon mit Stolz, «denn jede Narbe erzählt ihre Geschichte». Die Ärztin rät ihr von einem Brustaufbau ab. Die Krankenkasse bewilligt nur eine Anpassung und somit Verkleinerung der gesunden Brust. Dolma entscheidet sich für einen BH mit Silikon-Prothese, mit der sie auch schwimmen kann. Die IV bezahlt diese. Am 15. November, einen Tag vor ihrem Geburtstag, darf Dolma nach Hause.

Nebenwirkungen der Therapie

Im Dezember dann die erste Chemo-Therapie, um auch verstreute Krebszellen zu erreichen. Damit nicht jedes Mal neu in eine Vene gestochen werden muss, pflanzen ihr die Ärzte einen dauerhaften Zugang ein, einen sogenannten Portkatheter. Dolma sammelt über dem Herzen eine weitere Narbe. Sie kämpft mit Nebenwirkungen: Da sie ihre Zehen nicht mehr spürt und wie auf rohen Eiern läuft, stürzt sie häufig, zudem überfällt sie eine schwere Erschöpfung (Fatigue). An Weihnachten liegt sie nur rum. «Das Schlimmste war jedoch, dass ich meinen Appetit und Geschmackssinn verlor. Ich esse doch so gerne!» Weitere Nebenwirkungen will sie gar nicht wissen, schliesslich reagiere doch jeder anders darauf. Sie auferlegt sich und ihrem Umfeld ein Google-Verbot. Denn sie wurde mit Ratschlägen überhäuft. Jeder wollte nur das Beste für sie. Verstanden fühlt sie sich nur von anderen Betroffenen. Eine Gesprächstherapie nahm sie nicht in Anspruch. «Ich hätte mich zu den festgelegten Terminen nicht öffnen können.»

Eines Morgens findet sie Haarbüschel auf dem Kissen. Eine befreundete Coiffeuse rasiert ihr den Kopf. Dolma entscheidet sich gegen eine Perücke und malt sich auch keine Augenbrauen auf. Da es Winter war, trug sie meist eine Mütze. Auf Fragen reagiert sie offen. «Man hat mir eh angesehen, dass ich krank war.» Dennoch musste alles um sie herum normal sein. Sie wollte weiterhin am Leben teilhaben, nicht in Watte gepackt und als krank abgestempelt werden. Angst hatte sie nie, eher Respekt vor dem Unbekannten. Auch mit dem Tod hat sie sich nach der Diagnose befasst und ihre Abdankung geregelt. Sie weiss, welches Lied gespielt und wo ihre Asche verstreut werden soll. Die Krankheit habe sie stärker gemacht. «Heute lebe ich intensiver. Und ich glaube fest dran, dass man mit positivem Denken viel bewirken kann.» Da sie nicht ständig an den Krebs erinnert werden will, lehnt sie eine fünfjährige Antihormontherapie ab, die mit täglichen Tabletten das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen verhindern soll.

Trotz Schmerzen positiv

Im Mai 2012 reiste die junge Frau für zehn Tage nach New York – nur als Dolma und ohne Arzttermine. Dann die Hiobsbotschaft: Sie muss sich auch einen Teil des Gebärmutterhalses
entfernen lassen. «Meine Weiblichkeit hatte ich bis dahin nie infrage gestellt.» Was die 41-Jährige, die aus einer Grossfamilie kommt, bis heute jedoch beschäftigt, ist ihr unerfüllter Kinderwunsch. Sie würde sich nicht mehr gegen das Einfrieren von Eizellen entscheiden. Dann erfolgte eine Bestrahlung, um eventuelle Tumorreste zu vernichten.

Im Juli 2012 entliessen die Ärzte sie mit guten Prognosen. Doch Dolma fiel in ein Loch. Plötzlich war sie wieder auf sich alleine gestellt. Sie rappelte sich auf, blickt heute positiv in die Zukunft trotz ständiger Schmerzen. Sie leidet durch die Chemo an Osteoporose, Knochenschwund, und hat auf einem Auge ein Glaukom (Grüner Star). Sie ist oft erkältet, da ihr Immunsystem immer noch angeschlagen ist. Das alles nimmt sie in Kauf: «So spüre ich das Leben! » Nur mit Unverbindlichkeiten habe sie Mühe. «Ich beharre dann auf die Abmachung, weil ich nicht weiss, was morgen ist.» Und noch etwas will sie am Schluss ihrer Geschichte loswerden: «Frauen, aber auch Männer, geht zur Vorsorge und tastet euch regelmässig ab!»


Das Leben nach Brustkrebs

In der Schweiz erkranken pro Jahr rund 6000 Frauen und 50 Männer an Brustkrebs. Das Risiko steigt nach dem 50. Lebensjahr deutlich an. Doch die Krankheit betrifft auch Jüngere. Durch regelmässiges Abtasten können Knoten früh entdeckt werden, was die Überlebensrate erhöht. Laut Statistik leben fünf Jahre nach der Diagnose noch 88 von 100 Brustkrebs-Patientinnen. Rückfälle (Rezidive) oder Zweitkarzinome können zehn oder mehr Jahre nach der Ersterkrankung auftreten. Fortschrittlichere Therapien, aber auch die Bildung zertifizierter
Brustzentren und die frühere Erkennung, verbessern die Prognose deutlich. Trotz erfolgreicher Therapie können Vernarbungen an der operierten Brust mit Schmerzen auftreten, Lymphstauungen am Arm oder Spätfolgen nach Brustrekonstruktion. Seelische Folge ist die Sorge, dass die Krankheit zurückkehrt (Progredienzangst). Viele Brustkrebspatientinnen leiden auch unter ihrem veränderten Körperbild.

Weitere Informationen:
www.krebsliga.ch


Die Autorin dieses Artikels, Danica Gröhlich, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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