Von Danica Gröhlich, 4. September 2019
Auf der Strasse, am Arbeitsplatz, in der Freizeit: Ein Notfall kann immer und überall auftreten. Dann ist schnelles Handeln gefragt.
In einem Zug klagt ein älterer Herr plötzlich über Atemnot und Schmerzen in der Brust. Er hat einen Herzinfarkt. Jetzt zählt jede Minute. Denn Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Todesursache Nummer Eins in der Schweiz. Müssten Sie hier tatenlos zuschauen oder könnten Sie helfen? Bei den meisten dürfte es ein paar Jahre her sein, seit sie den Nothelfer-Kurs absolvierten. Andrea Schmid vom Schweizerischen Samariterbund ist seit 17 Jahren Kursleiterin und hat bereits über 1000 Personen instruiert. Sie hat genau diese Notfallsituation im Zug erlebt. «Dank meines Wissens konnte ich rasch reagieren. Ich habe den Notruf 144 alarmiert und weitere Passagiere aufgefordert, mir zu helfen, den Mann mit
angehobenem Oberkörper zu lagern und die beengende Kleidung zu öffnen. Als er nicht mehr antwortete und nicht mehr atmete, half nur noch eine Herzdruckmassage. Er hat überlebt.»
Doch was, wenn jemand Hemmungen hat, Erste Hilfe zu leisten? Schmid zeigt Verständnis: «Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man Hemmungen hat. In den Kursen spielen wir verschiedene Notfallsituationen immer wieder durch. Wir geben so den Teilnehmern die Chance, Fehler zu machen und zu analysieren. Und wir erzählen vom Erlebten und zeigen, dass es positiv ausging. Das Üben des richtigen Verhaltens gibt zusätzlich Sicherheit.»
Und doch haben viele Angst, etwas falsch zu machen. Die Fachspezialistin für Bildung betont: «Nur nichts zu tun, ist falsch! Alarmieren oder sich bemerkbar machen gilt als zumutbar – selbst für ein Kind.» Könnte ich denn wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden? Die Antwort gibt Artikel 128 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB): «Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte, wer andere davon abhält, Nothilfe zu leisten, oder sie dabei behindert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Als Hilfeleistung zumutbar gilt also die Alarmierung von Rettungskräften, darüber hinaus die Durchführung von lebensrettenden Sofortmassnahmen, wenn ein Ersthelfer darin geschult ist.
Das Ampel-Schema zur Beurteilung
Das GABI kannte jede und jeder: Wer einen Nothilfe-Kurs besuchte, lernte diese Eselsbrücke. Doch die berühmten Anwendungsfragen wurden vor einigen Jahren durch das international gültige BLS-AEDSRC-Schema ersetzt. BLS steht für Basic Life Support, AED für Automatisierter Externer Defibrillator. Schmid erklärt zur Regel-Verwirrung: «Unabhängig davon, wie das Schema heisst, bietet es den Mehrwert, dass es Laienrettern ein strukturiertes Vorgehen auch unter Druck ermöglicht.» In den Kursen des Schweizerischen Samariterbundes lernen die Teilnehmenden zudem das Ampel-Schema (siehe Grafik), um sich bei einem Notfall einen Überblick zu verschaffen.
Grünes Licht zum Handeln
Falls die betroffene Person also nicht antwortet, ist zu prüfen, ob sie noch atmet. Das lässt sich an der Gesichtsfarbe erkennen oder, ob sich der Brustkorb hebt und senkt. Schmid rät aber: «Verlieren Sie nicht viel Zeit damit. Falls Sie nicht sicher sind, ob jemand noch atmet, sagen Sie das dem Rettungsdienst. Er wird Sie dann übers Telefon anleiten.»
In der Schweiz erleiden jährlich etwa 8000 Personen einen Herz-Kreislauf-Stillstand, häufig nach einem Infarkt. Weniger als fünf Prozent überleben ein solches Ereignis ausserhalb des Spitals. Denn ohne sofortige Wiederbelebung sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit pro Minute um zehn Prozent. Daher unverzüglich den Notruf 144 alarmieren und mit der Herzdruckmassage (siehe Box) beginnen und nicht aufhören, bis der Rettungsdienst eintrifft oder die betroffene Person von sich aus wieder atmet. Denn im Blut ist noch Sauerstoff vorhanden. Es ist daher überlebenswichtig, dass die Blut-Zirkulation durch die Herzdruckmassage aufrechterhalten wird, damit diese das Gehirn und die anderen Organe weiter versorgt. Um den richtigen Rhythmus für die Herzmassage zu finden, können sich Retter am Lied der Bee Gees «Stayin‘ Alive» oder an Helene Fischers «Atemlos» orientieren. Eine Herzdruckmassage könne wirklich jeder. Erst kürzlich rettete ein Kind seinem Vater damit das Leben, weil es die Wiederbelebung vorher im TV gesehen hatte.
Jede Hilfe zählt
Sind mehrere Personen vor Ort, dann unbedingt jemanden direkt auffordern, einen Defibrillator zu holen, rät die Fachfrau. Diese Schockgeber können durch gezielte Stromstösse Herzrhythmusstörungen beenden. Das offizielle Symbol für einen Defibrillator ist ein weisses Herz mit grünem Blitz auf grünem Hintergrund. Das Gerät gibt gezielte Anweisungen. Die Herzdruckmassage wird dabei fortgesetzt und nur dann kurz unterbrochen, wenn der Defibrillator den Stromstoss absetzt. Nach 30 Kompressionen folgen zwei Beatmungen. Falls zum Selbstschutz (Grün auf der Ampel) keine Maske zur Hand ist, lassen Sie das Beatmen aus, da noch Restsauerstoff im Blut vorhanden ist. Und wenn ich bei der Druckmassage Rippen breche? «Rippen können gebrochen werden. Das ist aber zweitrangig, wenn ich dafür das Leben des Patienten retten kann», betont Andrea Schmid. «Und immer daran denken: Sie können nichts falsch machen. Jede geleistete Hilfe ist besser als keine Hilfe.»
Weitere Infos:
- Ein Auffrischungskurs in Erster Hilfe wird alle zwei Jahre empfohlen. Auch die Samaritervereine bieten solche Kurse an: www.samariter.ch.
- Die Erste-Hilfe-App des Schweizerischen Roten Kreuzes sowie die «HELP Notfall-App» der Schweizerischen Herzstiftung geben Anleitungen. Mit der App «Erste Hilfe Spiel» des Schweizerischen Samariterbundes wird spielerisch das Erste-Hilfe-Wissen getestet oder die Frequenz der Herzmassage geübt.
So geht die Herzdruckmassage
- Die Herzdruckmassage hat höchste Priorität und muss rasch begonnen werden.
- Der Betroffene muss zur Herzdruckmassage flach und auf einer harten Unterlage liegen.
- Der Druckpunkt liegt in der Mitte des Brustkorbs auf der unteren Hälfte des Brustbeins.
- Die Kompressionsfrequenz ist 100 bis 120/Min.
- Die Kompressionstiefe für Erwachsene beträgt 5 bis 6 cm.
- Auf 30 Herzdruckmassagen folgen 2 Beatmungen.