Mit Schmerz, Stock und Lippenstift

Von Nadine A. Brügger, 28. August 2019

An manchen Tagen schlägt die Krankheit so heftig zu, dass Silvia Meier denkt, es geht nicht mehr. An anderen lässt ich der Schmerz überschminken, weglächeln und ein bisschen vergessen.

Silvia Meier ist Politikerin, Mutter, Vereinsgründerin – und chronisch krank. Ihre Diagnose heisst Psoriasis Arthritis.

Manchmal ist Silvia Meiers Krankheit unsichtbar. Dann sieht sie aus wie eine junge, moderne Mutter. Wie eine engagierte Politikerin (SP Zürich), die Karriere, Kind und Hund locker unter einen Hut bringt. Wie eine stylische Instagram-Influencerin, vom Lippenstift, über das Kleid bis hin zur Frisur: alles auf makellosen Hochglanz getrimmt. Wie eine Macherin, mit eigenem Verein und Werbedeals.

All das ist Silvia Meier auch. Und dazu unheilbar krank. Psoriasis Arthritis (siehe Box) befällt die Haut und die Gelenke ihrer Patientinnen. Sind die Schmerzen in den Knien zu stark, kann die 37-Jährige ohne Stock keinen Schritt tun. Manchmal hilft auch der Stock nicht weiter. Dann liegt die junge Frau schlaflos im Bett. Beugt sich nur dann vor, wenn sie sich erbrechen muss. Starke Übelkeit, ausgelöst von den Schmerzen oder den Medikamenten, die dagegen helfen sollen. So genau weiss das keiner. Von Hochglanz keine Spur. Jetzt ist die Krankheit sichtbar.

Gute Tage, schlechte Tage

«Ich habe lange versucht, meine Krankheit zu verstecken», sagt Silvia Meier. Nicht vor der Familie und engen Freunden, aber vor der Welt. Nicht, weil sie das Mitleid fürchtete. «Weil ich Angst hatte, dass die Leute mir nicht glauben.» Eine chronische Krankheit ist für immer. Mit guten Phasen und schlechten Phasen. Letztere überdecken, kann Silvia Meier gut. Sie macht sich gern hübsch, kehrt die Schokoladenseite nach aussen. «Viele Menschen verstehen nicht, dass es mir am einen Tag blendend gehen kann – und am nächsten miserabel. Sie denken dann, ich simuliere.» Meier zuckt die Schultern. Wirklich verübeln kann sie es den Leuten nicht. Wie sollen sie wissen, wie schlecht es einer chronisch kranken Person manchmal geht, wenn die Betroffenen das so gut wie möglich zu verheimlichen versuchen? Um niemandem eine Last zu sein. Um nicht zu jammern. Um nicht bemitleidet zu werden. Um doch noch ein bisschen dazu zu gehören, zur immer munteren Leistungsgesellschaft.

«Die Leute erwarten, dass Kranke sich auch immer krank verhalten.»
Silvia Maier, Psoriasis-Arthritis Patientin

Meier macht da nicht mehr mit. «Seit 7 Tagen geht’s mir mies. Die Schmerzen treiben mich in die Verzweiflung. Aber sie treiben mich auch immer wieder an. Aufklärungsarbeit lässt sich nicht sanft durchführen. Also zeige ich regelmässig beide Seiten von meinem Leben. Bei den meisten chronischen Erkrankungen gibt es kaum eine komplett symptomfreie Zeit. Aber es gibt gute Phasen. Aber die enden und enden immer wieder», schreibt sie unter ein Bild auf Facebook. Auch auf Instagram und seit neustem für die Rheumaliga ist sie aktiv.

Sie erzählt aus ihrem Leben, manchmal auf Hochglanz getrimmt, manchmal in jedem Sinne ungeschminkt. Nimmt kein Blatt vor den Mund. Prangert an – Ärzte etwa, die ihren Patienten vorwerfen, dass die Therapie nicht funktioniert. Die Gesellschaft, die kranken Menschen weder Wagnis, noch Rückfälle so wirklich zugesteht. Entweder, man ist krank und verkriecht sich. «Oder man wird wieder gesund. Ein Hin und Her ist für viele schwer zu akzeptieren.»

«Lachen ist in Ordnung, es ist unsere einzige Lebensqualität.»
Silvia Maier, Psoriasis-Arthritis Patientin

In ihren Posts gesteht Meier ein, dass sie nicht mehr alles kann. Dass sie sich ihre Termine einteilen muss, damit der Körper dazwischen genug Zeit zum erholen hat. Dass sie manchmal die Hoffnung verliert und alles an die Wand fahren möchte. Auch ihren Verein für Menschen mit Autoimmunerkrankungen und Handicaps (MIAH). Dass sie ohne Schmerzmittel kaum durch den Tag kommt, auch nicht durch einen guten. «Wäre ich alt, würde ich mich komplett zudröhnen. Aber mein Körper muss noch lange halten», sagt Meier. Sie fordert aber auch heraus. Die Menschen, die denken, eine Person sei nur dann krank, wenn sie sich auch so verhält. Oder jene, die ihr eine Mischung aus Mitleid und Bewunderung entgegenbringen, weil sie mit einem Mann zusammen ist, der seit seiner Stammhirnblutung halbseitig gelähmt ist. Dabei ist Meier keine Samariterin, nur sehr verliebt.

Während ihrer Krankheit hat sie vieles über sich selber gelernt. Und vielleicht noch mehr über die Gesellschaft. Ihr Fazit? «Wir müssen lernen, egoistisch zu sein, das schlechte Gewissen abzulegen, uns etwas zu gönnen und Grenzen auszuloten. Lachen ist in Ordnung, es ist die einzige Lebensqualität, die wir haben.» Sie wäre froh gewesen, die Ärzte hätten ihr zusammen
mit der Diagnose, auch das erklärt. Denn chronisch krank sein, bedeute, mit einer Krankheit zu leben. «Zu leben», betont Meier, «und das Leben, das dürfen wir eben nicht vergessen.»


Was ist Psoriasis Arthritis?

Die Psoriasis ist vielen besser bekannt als Schuppenflechte. Eine nicht ansteckende, chronische Erkrankung der Haut. Durchschnittlich alle 28 Tage erneuert sich die gesunde Haut komplett. Bei Patienten mit Psoriasis dagegen geschieht diese Erneuerung an manchen Stellen in nur acht Tagen. Die Folge: Schuppende, gerötete Hautflächen. Die trockene Haut bricht oft auf, blutet und juckt. Ellbogen, Kniestreckseiten, Kreuzbandregion, Analfalte und Kopfhaut sind davon am häufigsten betroffen.

Die Arthritis dagegen geht unter die Haut: Sie befällt die Gelenke der Betroffenen. Aufgrund fehlgeleiteter Zellen des Immunsystems schwellen die Gelenke auf, machen Bewegungen sehr schmerzhaft und manchmal schlicht unmöglich. Was lange unbekannt war: Bei 15 bis 20 Prozent der betroffenen Psoriasis-Patienten treten beide Erkrankungen auf und verstärken sich gegenseitig. Man spricht dann von einer Psoriasis Arthritis. Die Krankheit ist unheilbar, kann aber in ihrem Verlauf verlangsamt werden. Entzündungshemmende Medikamente, Cortison, gering dosierte Chemo-Therapien und Operationen bekämpfen zudem die Symptome. Neu auf dem Markt sind auch sogenannte Biologika. Eiweisssubstanzen, die aus gentechnisch veränderten tierischen oder pflanzlichen Organismen gewonnen werden. Biologika greifen in bestimmte Abläufe des Immunsystems ein, um die Entzündung von Haut und Gelenken zu hemmen.


Die Autorin dieses Artikels, Nadine A. Brügger, ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendung am Samstagabend auf SRF1.
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