Von Nadine A. Brügger, 14. August 2019
Als Saskia volljährig wird, bekommt sie von ihren Eltern Ohrringe, ein Auto und die Wahrheit. Denn: Ihr Papa ist nicht ihr biologischer Vater.
«Ganz der Papa», das bekommt Saskia* zu hören, seit sie ein kleines Mädchen ist. Kein Wunder: Die dunklen Locken, der südländische Teint – von der blonden Mama kommt beides nicht. Vom chilenischen Papa allerdings ebensowenig. Denn Saskia, 1984 geboren, ist das Kind eines Samenspenders. Erfahren hat sie das allerdings erst an ihrem 18. Geburtstag.
Nach dem Geständnis ihrer Eltern hat Saskia sich in den Garten gesetzt und geheult. Danach hat sie sich gefragt, ob sie das denn nicht selber hätte merken müssen. Diese mangelnde genetische Nähe zum Vater. «Als erstes kam ich mir vor allem naiv und dumm vor. Weil mich das Geständnis meiner Eltern so komplett aus dem Nichts getroffen hat. Man hört doch immer, dass Adoptivkinder – oder eben auch jene von Samenspendern – sich anders fühlen, nicht ganz zugehörig. Wenn sie ihre Geschichte erfahren, klärt sich alles.»
Bei Saskia aber war das nicht so. Sie liebt ihre Mutter, klar. Aber die Beziehung zum Papa, die war immer eine ganz besondere. Bis zu ihrem 18. Geburtstag hatte sie das auch kaum erstaunt. Jeder sah doch auf den ersten Blick, dass sie beide aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. «Ganz der Papa», halt. Und jetzt? Wer war Saskia denn jetzt?
«Jetzt, wo ich weiss, dass meine biologischen Wurzeln anders sind, als ich dachte, jetzt will ich mehr wissen.»
Saskia (35), Spenderkind
Hätte man Saskia gefragt, ob sie von der Samenspende wissen wollte, wäre ihre Antwort «nein» gewesen. «Für mich war ja alles gut. Aber meine Eltern hatten das Gefühl, mich zu belügen – und das wollten sie nicht», sagt Saskia. Sie versteht ihre Eltern. «Es hat bestimmt gut getan, sich zu erleichtern. Aber jetzt trage ich das Gewicht mit.» Sie zuckt die Schultern. Sie liebe ihre Eltern nach wie vor sehr. Aber gewisse Dinge hätten sich verändert. «Ganz der Papa» – hinterlässt bei Saskia jetzt meist Verlegenheit. Und das Wissen darum, dass da draussen jemand ist, dem sie gleicht. Vielleicht. Das lässt sie nicht mehr los.
«Jetzt, wo ich weiss, dass meine biologischen Wurzeln anders sind, als ich dachte, jetzt will ich mehr wissen.» Das allerdings ist nicht so einfach. Als die Samenspende ab Mitte der Siebzigerjahre möglich wurde, empfahlen Ärzte den Eltern, die «Behandlung» geheim zu halten. Je weniger Menschen eingeweiht seien, umso kleiner die Chance, dass sich jemand vor dem Kind verplappere. Das Kind sollte man um Himmels Willen im Glauben lassen, der soziale, sei auch der biologische Vater. Das war auch 1984 noch so, als der Gynäkologe Saskias Mutter über einen Katheter Spendersamen direkt in die Gebärmutter einflösste – und Saskia gezeugt wurde.
Heute dagegen ist das anders. Seit 2001 sind anonyme Spenden in der Schweiz illegal. Name, Vorname, Geburtstag, Geburtsort, Wohnort, Heimatort, Nationalität, Beruf und Ausbildung des Samenspenders werden registriert. Wird das Spenderkind volljährig und wünscht, den biologischen Vater kennen zu lernen, kann das Amt für Zivilstandswesen ein Treffen organisieren.
Seit 2001 sind anonyme Spenden in der Schweiz illegal. Wird das Spenderkind volljährig darf es die Informationen über seinen biologischen Vater einfordern.
Weil die anonyme Spende in der Schweiz verboten ist, gehen viele Paare dafür nach Spanien, Holland oder Dänemark. Hier sind die Gesetze lockerer und erlauben es auch alleinstehenden oder lesbischen Frauen, ein Kind durch Samenspende zu bekommen. In der Schweiz sind sie von der Samenspende nämlich ausgeschlossen. Zugelassen sind nur für heterosexuelle, verheiratete Paare. Durch die Ehe nämlich wird der Gatte juristisch automatisch zum Vater des Kindes. Gerade allerdings wird im Parlament die «Ehe für Alle» diskutiert. Einer der beiden Vorschläge beinhaltet folgenden Punkt: Auch lesbische Paare sollen in der Schweiz das Recht auf eine Samenspende bekommen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spenderkind dereinst seine Wurzeln finden kann.
Saskia blieb das bis heute verwehrt. Von ihrem biologischen Vater fehlt jede Spur. Das einzige, was sie ahnt: Höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen Berner Medizinstudenten. Denn in der Uni-Mensa warben Gynäkologen um Samenspender. Sie hat sich auf diversen Plattformen angemeldet, die mittels DNA-Probe Verwandte oder gar Halbgeschwister – weitere Kindern des gleichen Spenders – ermittelt. Heute dürfen in der Schweiz maximal acht Kinder vom gleichen Spender stammen. Die Limite soll die Wahrscheinlichkeit verringern, dass sich Halbgeschwister, die von diesem Status allerdings nichts wissen, ineinander verlieben und ihrerseits Kinder zeugen. Saskia könnte sogar noch mehr Halbgeschwister haben. Gemeldet hat sich bis heute aber niemand bei ihr.
* Saskia heisst eigentlich anders. Aber weil sie selber entscheiden möchte, mit wem sie über ihre biologische Herkunft spricht, haben wir ihren Namen geändert.
Der nächste Schritt
Die Mechanik des Samenspendens ist längst gang und gäbe. Eine Eizellen-Spende dagegen ist für die Spenderin um einiges unangenehmer. Sie muss sich einer Hormonbehandlung unterziehen, bevor die reifen Eizellen operativ entnommen werden können. Noch ist die Eizellspende in der Schweiz nicht zugelassen. Reproduktionsmediziner Christian de Geyter vom Universitätsspital Basel ist in Theorie dennoch längst einen Schritt weiter.
Seit im Herbst 2017 das neue Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik (PID) in Kraft trat, dürfen künstlich befruchteten Embryonen während zehn – statt wie bisher fünf – Jahren im Tiefkühler aufbewahrt werden. «Danach müssen wir sie wegwerfen», sagt de Geyter. Er findet das schade: «Meiner Meinung nach müsste man diese befruchteten Eizellen zur Adoption freigeben.»
Wie bei der Adoption eines Babies, würden die kantonalen Erziehungsdepartemente die Zuteilung vornehmen. «Die Adoptivmutter könnte dann den gespendeten Embryo austragen», erklärt de Geyter. Damit wäre das Kind zwar weder mit seiner Mutter, noch mit seinem Vater tatsächlich verwandt. Dennoch wären Eltern und Kind von Anfang an zusammen. «Und die Unsicherheit darüber, was das Kind während der Schwangerschaft und kurz nach der Geburt erlebt hat, wäre weg», erklärt de Geyter. Politisch war dieser Vorschlag allerdings nicht mehrheitsfähig.