Zapfen, Strahlen und Wellen – oder: Woher kommt Farbenblindheit?

Von Nadine A. Brügger, 3. Juli 2019

Wer den mit Mosaiksteinen gelegten Hund in der Bildmitte nicht erkennen kann, leidet an einer Grün-Rot-Blindheit. (iStock)

Grün? Rot? Einerlei? Nicht alle Menschen können alle Farben sehen. Farbsehschwächen oder komplette Farbenblindheit schränken ihre Wahrnehmung ein.

Ein Korb voller saftiger, reifer Erdbeeren ist tiefrot. Die Strassenampel, die die Durchfahrt freigibt hingegen hat ein sattes Grün. Zumindest für den Durchschnitts-Sehenden.

Wer aber eine Rot-Grün-Sehschwäche hat, kann die roten Früchte nicht von den grünen Blättern unterscheiden. Im Körbchen liegt ein grünes Einerlei. An der Ampel dagegen muss gezählt werden, wo ein Licht blinkt. Die grüne Farbe bleibt unsichtbar. «Bist du etwa farbenblind», heisst es in solchen Situationen. Tatsächlich farbenblind allerdings sind nur sehr wenige Menschen.

Etwa eine Person von 100’000 sieht gar keine Farben. Für sogenannte Achromaten besteht die Welt aus verschiedenen Graustufen. Mit kompletter Farbenblindheit, sogenannter Achromatopsie, gehen meist auch eine verminderte Sehschärfe und starke Empfindlichkeit auf helles Licht einher.

Männer öfter betroffen

Viel häufiger als Farbenblindheit, sind sogenannte Farbsehschwächen. Dabei können Betroffene eine oder mehrere Farben nur schlecht wahrnehmen. Der Anteil an betroffenen Männern ist dabei viel grösser, als jener der Frauen. Während etwa acht Prozent aller Männer eine Farbsehschwäche haben, sind es bei den Frauen gerade mal 0.4 Prozent. Denn Farbsehschwächen werden vererbt.

Das verantwortliche Gen liegt auf dem X-Chromosom. Davon haben Frauen zwei. Ist also das eine Gen defekt, kann dieser Mangel meist durch das intakte Gen auf dem zweiten X-Chromosom ausgeglichen werden. Männer hingegen haben nur ein X-Chromosom. Ist das entsprechende Gen darauf mangelhaft, lässt sich die Farbsehstörung nicht so einfach «ausbügeln».

Die Zapfen fehlen

Doch wie führt ein beschädigtes Gen überhaupt zu einer Sehschwäche? Dafür müssen wir das Farbensehen an sich betrachten. Trifft Licht auf einen Gegenstand, wird es in verschiedenen Wellenlängen zurückgeworfen. Diese Wellen treffen auf unser Auge, genauer, auf eine bestimmte Art von Sinnzellen, sogenannte Zapfen. Das menschliche Auge verfügt über drei verschiedene Arten von Zapfen, welche je eine Primärfarbe (Rot, Blau, Gelb) wahrnehmen. Die L-Zapfen nehmen lange Wellenlängen (Rottöne), die M-Zapfen mittlere (Gelbtöne) und die S-Zapfen kurze (Blautöne) wahr. Diese Zapfen sitzen in der Netzhaut des menschlichen Auges. Trifft Licht auf sie, werden sie je nach Wellenlänge unterschiedlich gereizt. Sie geben verschiedene Kombinationen der drei Grundfarben an das Gehirn weiter. Diese Impulse verarbeitet das Gehirn zu allen Farben des Spektrums.

Keine Therapie

Weil die Sehstörungen genetisch bedingt sind, gibt es keine Therapie. Auch vorbeugende Massnahmen können werdende Eltern keine treffen. Im Alltag sind Menschen mit einer Farbsehstörung je nach Stärke der Ausprägung beispielsweise von bestimmten Berufen, in denen das Farben-Sehen sehr wichtig ist, ausgeschlossen. Grundsätzlich geben aber die meisten Betroffenen an, sich in ihrem Alltag nicht behindert zu fühlen. In seltenen Fällen entsteht eine Farbsehstörung nicht durch einen Mangel an Zapfen, sondern im Gehirn. Etwa bei einem Schlaganfall, einer Hirnblutung oder einem Schädel-Hirn-Trauma. Dann sind es nicht die Sinneszellen selber, die beschädigt sind, sondern die Sinnesverarbeitung. Die Farben werden entsprechend einwandfrei an das Hirn weitergeleitet, dieses kann sie aber nicht verarbeiten.

 


Arten der Farbsehstörung

Sieht ein Mensch gar keine Farben, spricht man von totaler Farbenblindheit (Achromasie). Die Welt von Achromaten besteht aus Grautönen, Schwarz und Weiss. Von der totalen Farbenblindheit ist etwa einer unter 100’000 Menschen betroffen. Zwischen Männer und Frauen gibt es keinen Unterschied. Die Welt mancher Patienten dagegen ist nicht ganz Grau. Sie sehen hier und da einen Farbtupfer. Beim sogenannten Ein-Farben-Sehen (Monochromasie) nehmen Betroffene zusätzlich zum Grau eine tatsächliche Farbe wahr. Meist ist das Blau.

Sehr viel häufiger ist die Teil-Farbenblindheit (Dichromasie). Betroffene verwechseln zwei Farben miteinander, weil sie die eine nicht wahrnehmen können. Die häufigste arbsehschwäche ist die Rot-Grün-Blindheit. Sie führt zum Einerlei im Erdbeerkörbchen und Problemen bei der Strassen-Ampel. Die Rot-Grün-Schwäche teilt sich auf in Patienten mit Rot-Blindheit (Protanopie). Diesen Menschen fehlen die sogenannten L-Zapfen im Auge. Rotes Licht kann darum nicht wahrgenommen werden. Was das gesunde Auge als rot erkennen würde, erscheint dem Patienten mit Protanopie als grün. Das genaue Gegenteil erleben Patienten mit einer Grün-Blindheit (Deuteranopie).

Ihnen fehlen die sogenannten M-Zapfen, was dazu führt, dass sie die Farbe Grün nicht wahrnehmen können und stattdessen Rot sehen. Diese Patienten sind bei weitem nicht alleine: Rund die Hälfte aller Farbsehschwächen ist eine Beeinträchtigung des Grün-Sehens.

Seltener ist die Blau-Blindheit (Tritanopie). Den Betroffenen fehlen die sogenannten S-Zapfen auf dem Auge. Statt Blau, sehen sie Gelb. Darum spricht man auch oft von einer Blau-Gelb-Störung.  Manche Patienten sehen Grün, Rot oder Blau auch nur bei ungünstigen Verhältnissen wie grosser Distanz oder Dunkelheit schlechter. Dann spricht man von Farbenschwachsichtigkeit.


Nadine A. Brügger ist Redaktorin bei «gesundheitheute», der Gesundheitssendungam Samstagabend auf SRF1.

 

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